Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
starken Luftstrom. Shane hockte sich neben den Betonring und hielt die Hand über das Gitter. Er hatte es sich nicht eingebildet. Irgendetwas sog eine Menge Luft nach unten ins Innere des Berges. Shane war hier oben in der unberührten Wildnis nicht bloß auf irgendeinen Betonring gestoßen, sondern auf einen Schacht! Und da war noch etwas: Für einen kurzen Augenblick meinte er, ein leises Flüstern zu vernehmen. Es schien aus den Felsen zu kommen.
Unwillkürlich musste er an die Geschichten denken, die Großmutter Storm Hawk ihm über die rock listeners erzählt hatte, als er ein Junge gewesen war. Rock listeners waren Blackfoot mit der besonderen Gabe, die Stimmen der Spirits , der Geistwesen, zu vernehmen, wenn sie ihr Ohr an Steine oder Felsen legten. Shane gehörte seinem Wissen nach nicht zu diesen besonderen Menschen, niemand in seiner Familie. Hatte er sich das Flüstern dann einfach eingebildet? Shane schüttelte den Kopf. Seine indianische Erziehung hatte ihn gelehrt, seinen Instinkten zu folgen. Auf sie musste er sich auch jetzt verlassen.
Shane stand auf und blickte sich aufmerksam um. So ein Luftschacht war nicht umsonst mitten in der Wildnis. Er musste irgendwo dazugehören, zu einem Bergwerk vielleicht oder einem anderen unterirdischen Bau.
Shane brauchte nicht lange zu suchen. Keine fünf Meter von ihm entfernt entdeckte er einen weiteren Schacht. Auch hier verspürte er einen starken Luftzug. Er folgte der unsichtbaren Linie, entlang derer die Betonringe angelegt zu sein schienen, und stieß auf vier weitere Schächte. Dann vernahm er ein dumpfes Geräusch.
Vorsichtig und ohne den geringsten Laut zu verursachen, schlich Shane weiter. Plötzlich teilten sich die Bäume, und ein hoher, sehr offiziell wirkender Drahtzaun versperrte ihm den Weg. Shane hielt überrascht inne. Der Zaun war am oberen Ende mit mehreren Reihen Stacheldraht eingefasst. Merkwürdigerweise zeigte der mit Stacheldraht versehene Teil des Zauns nach innen, nicht nach außen, wie Shane es erwartet hätte. Verwundert lief er ein Stück am Zaun entlang. Dies war der Banff National Park. Hier gab es keine Privatgrundstücke, schon gar nicht mit hohen, bedrohlichen Drahtzäunen.
Kurz darauf blieb er vor mehreren großen Schildern stehen. Das erste Schild war gelb und zeigte einen schwarzen Blitz. Der Zaun stand unter Strom. Shane tat unwillkürlich einen Schritt zurück. Ein elektrischer Zaun, hier im Park? Aber es war das zweite Schild, das ihn komplett aus der Fassung brachte. In großen Buchstaben stand darauf zu lesen: Militärischer Sicherheitsbereich – Zutritt verboten!
Militärischer Sicherheitsbereich, was mochte das bedeuten? Shane hatte im Verlaufe der vergangenen Wochen alle Karten, die von dem Park existierten, eingehend studiert, auch solche, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Aber eine staatliche Einrichtung war in keiner von ihnen eingetragen.
Shane spähte hinunter in die Tiefe. Vielleicht konnte er einsehen, was dort vor sich ging.
Er hatte kein Glück. Alles, was er sah, war eine staubige, unbefestigte Straße, die sich zwischen den Bäumen den Berghang hinaufschlängelte. Wo sie hinführte, war nicht zu erkennen. Ein riesiger Felsvorsprung versperrte die Sicht. Shane wägte das Gelände ab. Der Zaun endete nicht weit von ihm entfernt an einer steilen Felswand. Ohne eine richtige Kletterausrüstung würde er sie nicht erklimmen können. Und es gab keinen Weg daran vorbei. Wollte er mehr über die Straße und die merkwürdige Anlage herausfinden, dann musste er an einem anderen Tag und besser ausgestattet wiederkommen. Verdrießlich machte Shane sich auf den Rückweg. Was immer hier vor sich ging, etwas war faul an der Sache.
Selbst am nächsten Morgen, als Shane wieder in seiner kleinen Wohnung in Banff war, weilten seine Gedanken noch immer bei den Luftschächten und der merkwürdig abgeriegelten Anlage, tief in der unberührten Wildnis des Parks.
Er stellte die kalte Pizza, die gestern beim Abendessen übrig geblieben war, auf dem Küchentresen ab und biss herzhaft in das erste Stück, als ihm einfiel, dass er vergessen hatte, die Nachrichten auf seinem Handy abzuhören. Er fischte das Telefon aus seiner Jackentasche und öffnete die Mailbox. Nur eine Nachricht, er hatte nicht viel verpasst. Doch die Worte, die er kurz darauf vernahm, trafen ihn derart unvorbereitet, dass er sich an seiner Pizza verschluckte.
Fabian lächelte zufrieden. Bisher war alles besser verlaufen, als er zu hoffen
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