Das Geheimnis Des Frühlings
entschieden mehr von der Welt als diese beiden frommen Brüder. »Es war ja nur ein Gedanke«, lenkte er auch sofort ein. »Aber vielleicht übersehen wir etwas viel Offensichtlicheres.«
Der Ansicht war ich auch. »Ihr schwafelt und schwafelt, und trotzdem seht Ihr nicht, was mir förmlich ins Auge springt. Es ist doch sonnenklar, dass Männer Frauen Rosen schenken, wenn sie sie flachlegen wollen«, platzte ich heraus. Die ganze Debatte ging mir auf die Nerven, und es interessierte mich nicht mehr, ob ich den alten Mönch jetzt erneut schockiert hatte. Doch ich erlebte eine Überraschung.
»Sie hat recht, es stimmt«, erwiderte Bruder Nikodemus ruhig. »Rosen sind Liebesgaben. Und der Dichter Boiardo sagt, dass man Rosen verstreut, um die Freude an der Liebe zu feiern. In unserem Bild ist es Flora, die die Rosen verstreut. Im alten Rom hingegen wurden Rosen bei den Festen der Flora und des Hymenäus und vor den Füßen im Triumph heimkehrender Sieger oder vor ihren Streitwagen verstreut oder schmückten den Bug ihrer Kriegsschiffe.«
Bruder Guido schnappte danach wie ein Fisch nach einem Köder. » Vor den Füßen von Siegern «, wiederholte er. »Das muss etwas zu bedeuten haben. Bei dieser ganzen Verschwörung geht es um Krieg und Hunderte und Tausende von Kriegsschiffen, die wir mit unseren eigenen Augen gesehen haben.«
»Möglich«, stimmte Bruder Nikodemus zu. »Aber ich würde nicht im Zusammenhang mit Krieg, sondern mit Heilkunst an
diese Rose hier denken. Ich stelle zahlreiche Arzneien daraus her.«
»Die gegen welche Krankheiten helfen?«, hakte Bruder Guido rasch nach.
»Sie stärken das Herz, den Magen, die Leber und das Gedächtnis, sind gut gegen jede Art von Ausfluss, lindern Brechreiz und Husten und lassen sich bei Schwindsucht einsetzen. Ich benutze in meinem Herbarium natürlich viele verschiedene Rosensorten, meist, um Rosenwasser herzustellen - die Eigenschaften, die ich aufgezählt habe, sind nicht alle nur für die rosa centifolia typisch.«
»Rosa centifolia«, grübelte Bruder Guido. »Die Rose der hundert Blätter«, übersetzte er mir zuliebe. »Vielleicht weist uns der Name der Rose darauf hin, dass wir nach einer Zahl suchen sollen. Codes und Geheimschriften werden oft in Zahlen verfasst, vielleicht ist das die Antwort, die in den Rosen verborgen liegt. Wenn wir eine Zahl finden, können wir daraus vielleicht Rückschlüsse auf ein Datum oder etwas Ähnliches ziehen.«
»Aber Bruder, die Klassifikation centifolia ist nicht wörtlich zu verstehen«, warnte Bruder Nikodemus. »Die Anzahl der Blätter ist von Blume zu Blume verschieden.«
»Gut, so viel zu den Blättern...Wie viele Blütenblätter hat die Rose eigentlich?«
Wir betrachteten die beiden Blüten vor uns. Sogar bei diesen beiden schien sich die Zahl der Blütenblätter voneinander zu unterscheiden. »Auch das ist von Fall zu Fall verschieden«, erklärte Bruder Nikodemus. »Vielleicht sollten wir einmal die Blumen zählen, die Flora in den Händen hält.«
»Und was ist mit denen, die sie verstreut?«, gab Bruder Guido zu bedenken.
Ich könnte schwören, dass ich vor ungefähr zwei Stunden etwas in dieser Art gesagt hatte, aber ich verkniff mir eine diesbezügliche Bemerkung. Wir bauten uns um den Tisch herum auf, um die Rosen in Floras Armen zu zählen. Diese Aufgabe
erwies sich als nahezu unlösbar, selbst dann, als Bruder Nikodemus seine Augengläser wieder aufsetzte.
Wir diskutierten hitzig über die Frage, ob wir alle Blumen oder nur einzelne Blütenblätter zählen sollten und ob sich unter der sichtbaren Schicht noch weitere Rosen verbargen. Am Ende kamen wir auf die Zahl Einunddreißig. Das größte Problem stellte die Rose zwischen Venus und Flora dar. Es war exakt die gleiche wie die in Floras Armen aber wir konnten dem cartone nicht entnehmen, ob sie in der Erde wuchs und somit nicht mitgezählt werden durfte oder ob sie Flora aus der Hand gefallen war und daher als eine ihrer Rosen galt. Wir konnten auch nicht sagen, ob sich der Stiel der Blume oberhalb der Blüte befand, dann würde sie zu Boden fallen, oder unterhalb, in welchem Fall sie im Boden wachsen würde.
»Ist das denn wichtig?«, fragte ich müde.
Bruder Guido strich sich übers Kinn. »Ich denke schon. Botticelli tut nichts ohne Absicht.«
Wir drehten uns beide zu dem Kräuterkundigen um, der sich über das Bild beugte, und hofften mit angehaltenem Atem darauf, dass er eine Antwort auf diese Frage fand. Das tat er, aber sie fiel nicht so
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