Das Geheimnis Des Frühlings
aus, wie wir es uns gewünscht hatten. Bruder Nikodemus rieb seinen weißen Haarkranz. »Jetzt haben wir ein Problem. Ich kann es nicht sagen, weil der cartone zu klein ist, um Einzelheiten erkennen zu können. Der Code kann nur in dem Holztafelgemälde der Primavera gelesen werden, das hundertmal größer ist als dieses Pergament, das, wenn ich mich nicht sehr irre, auch schon einige Abenteuer erlebt hat.«
Das ließ sich nicht leugnen: Salzwasser und der Schweiß fast eines Monats hatten Spuren hinterlassen; die Farbe zwischen Flora und Venus, wo die vermaledeite Rose fiel oder wuchs, begann zu verblassen und feine Risse aufzuweisen.
Bruder Guido schien ein Stück zu schrumpfen. »Dann ist es hoffnungslos. Das Gemälde befindet sich jetzt vermutlich schon in der Villa der Medici in Castello, das von hundert
Wachposten gesichert wird. Wir können nur beten, dass diese spezielle Rose nicht von entscheidender Bedeutung ist.«
»Wartet! Hattest du nicht gesagt, die Primavera sei ein Hochzeitsgeschenk, Bruder?«, hakte Bruder Nikodemus plötzlich nach.
»Da bin ich mir ganz sicher.«
»Dann ist das Problem gelöst. Das Bild wird bei der Hochzeit sein.«
»Wie bitte?«
»Eh?« Bruder Guido und ich sprachen gleichzeitig, drückten uns nur wie üblich verschieden aus.
»Es ist ein toskanischer Brauch, dass die Geschenke vor der Ankunft des glücklichen Paares in der inneren Kirchenvorhalle ausgestellt werden«, erklärte Bruder Nikodemus. »Das Gemälde wird dort sein und vermutlich mit Prunk und Pomp enthüllt werden. Das ist die Art der Medici, und allein das legt für mich den Schluss nahe, dass die letzte Rose überaus wichtig ist.«
»Warum?«
»Dem, was ihr mir erzählt habt, habe ich entnommen, dass alle Sieben an dem Fest teilnehmen. Dort wird das Bild gezeigt. Alle können sehen, was Flora in den Armen hält. Ich denke, es ist eine Art Rückversicherung.«
Ich verstand die Welt nicht mehr, und das musste er mir angesehen haben.
»Ihr verbergt einen Code in einem Bild«, erklärte er. »Aber Ihr wollt, dass dieses Bild nur von bestimmten Personen gelesen werden kann und niemandem sonst. Also bringt Ihr das Bild an einen Ort, wo sich alle diese Personen versammeln werden und das Gemälde offen zu sehen ist. Die letzte Rose ist die Versicherung - für den Fall, dass jemand eine Kopie des Bildes stiehlt, den cartone.«
Ich erkannte, worauf er hinauswollte. »Jemand hat eine Kopie gestohlen.«
»Ganz genau. Botticelli hat ein Detail eingebaut, das nur im
Original zu finden ist. Er hat den Code gesichert, denn nur Gäste von sehr hohem Rang, die sich zu der Hochzeit einfinden werden, werden die Gelegenheit bekommen, es aus der Nähe zu betrachten. Sie werden nach dem Code Ausschau halten und in der Lage sein, das, was sie sehen, auch richtig zu interpretieren - und das können nur die Verschwörer. Deswegen muss diese Rose von äußerster Wichtigkeit sein, sie ist sozusagen der Schlüssel zu allem.«
»Und wenn jemand etwas von Versicherungen und Schutzvorkehrungen versteht, dann die Medici, die reichste Rankiersfamilie der Welt«, fügte Bruder Guido hinzu.
»Viel bedeutsamer ist, dass die Rose seit den Zeiten der alten Römer als Symbol für Geheimnisse gilt. Damals war es Brauch, eine Rose über eine Festtafel zu hängen, zum Zeichen dafür, dass alles, was an diesem Tisch sub rosa oder unter der Rose besprochen wurde, absoluter Geheimhaltung unterlag.«
Dieser faszinierende Gedanke ließ das Herz meines Freundes sicher vor Jagdeifer schneller schlagen, aber meines wurde schwer - wir waren Jagdhunde, die einer toten Fährte folgten. Selbst wenn wir herausfanden, ob die Rose im Boden wuchs oder Flora aus den Händen fiel, hatten wir das sub rosa verborgene Geheimnis noch immer nicht entschlüsselt. Wir hatten nichts, was wir Il Magnifico vortragen konnten. »Sollen wir wirklich zu Lorenzo de’ Medici marschieren und verkünden: >Das Geheimnis sind zweiunddreißig Rosen?< Oder einunddreißig, weil wir nicht sicher sind, ob die letzte dazugerechnet werden muss. Brillant, das muss ich schon sagen!«
Bruder Guidos Miene verfinsterte sich. »Ich weiß. Aber welche andere Wahl bleibt uns denn?«
»Vielleicht ist es ein Kennwort, und er weiß sofort, was es bedeutet?«, warf Bruder Nikodemus ein.
Ich schnaubte leise durch die Nase. »Fassen wir also zusammen. Wir erzählen dem Stadtoberhaupt von Florenz, dass sein Vetter und Mündel zusammen mit sechs Verschwörern, von denen wir vier nicht kennen, gegen
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