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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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verfallen wie ein Bär in seiner Höhle, doch jetzt trieb mich ein unbezwingbarer Drang zum Handeln, fast so, als würde Bruder Guidos Prozess schon morgen stattfinden. Ich hatte noch zehn- oder zwanzigmal an Bruder Nikodemus geschrieben und um neue Nachrichten von Bruder Guido gebeten, aber nur eine Antwort bekommen: Bruder
Guido schmachtete noch im Bargello und sollte nach Mariä Lichtmess vor Gericht gestellt werden.
    Lichtmess war im Februar.
    Und wenn ich zu spät kam?
    Ich rannte den Gang zur Salle delle Mappe hinunter, so schnell ich konnte. Signore Cristoforo wartete schon auf mich; meine Toilette hatte an diesem Tag quälend lange gedauert. Er erhob sich, als ich eintrat, nahm jedoch wie üblich von meiner Aufmachung keinerlei Notiz.
    »Signorina Mocenigo«, begrüßte er mich mit einem höflichen Nicken. Er setzte sich zu mir an den großen Eichenholztisch, entrollte ein vergilbtes Pergament und beschwerte es mit einem Astrolabium und einem Zirkel. Ein scharfer Schmerz durchzuckte mich, als ich mich an die unzähligen Male erinnerte, da Bruder Guido und ich den Primavera-cartone vor uns ausgebreitet hatten, um uns in eine hitzige Diskussion über eine der Figuren zu vertiefen.
    »Heute befassen wir uns mit dem vielleicht wichtigsten Gerät, das einem Seemann zur Verfügung steht«, begann Signore Cristoforo in seinem schwer verständlichen genuesischen Dialekt.
    Ich konnte meine Ungeduld kaum bezähmen; schenkte dem Pergament vor mir nicht die geringste Beachtung. »Signore Cristoforo...«
    »Der Kompassrose.«
    Ich verstummte. Das klang nützlich.
    »Dank dieses Gerätes, das von den klügsten Köpfen unter den Wissenschaftlern entwickelt wurde, ist es uns möglich, immer die exakte Position auf See zu bestimmen, sogar in einem Sturm oder im Dunkeln.«
    Sogar im Dunkeln. Morgen würde ich, wenn die Heilige Jungfrau mir gnädig gesinnt war, diese Stadt verlassen - im Dunkeln und in einem Boot. Ich begann, genauer hinzusehen und aufmerksamer zuzuhören. Vor mir auf dem Tisch lag die Zeichnung eines Kompasses mit vielen Spitzen. Über jeder
davon war eine Himmelsrichtung angegeben. Das Ganze sah aus wie eine giftige Blume, tatsächlich saß genau in der Mitte etwas, das stark an eine Rose erinnerte.

    »Hier.« Signore Cristoforo deutete mit dem Zeigefinger darauf.
    »Dieses Gebilde nennt man die Kompassrose, weil die vielen Spitzen, die die wichtigsten Himmelsrichtungen angeben, an eine Blume denken lassen. Seht Ihr die vier Grundrichtungen - Norden oben, Süden unten, Westen links und Osten rechts?«
    So weit, so gut. »Und was liegt alles dazwischen?«
    »Die feineren Unterteilungen. Zwischen Nord und Ost zum Beispiel liegen noch folgende Richtungen:
    Nord zu Ost.
Nordnordost.
Nordost zu Nord.
Nordost.
Nordost zu Ost.
Ostnordost.
Ost zu Nord.
Versteht Ihr?«
    Nein. »Ja.«
    »Zwischen Ost und Süd verhält es sich ebenso, und so geht es rund um das Rad bis zurück zu Nord. Im Altertum haben sich die Römer mit zwölf Einteilungen zu dreißig Grad begnügt, eine nicht ungefährliche Praxis, wie ich Euch versichern kann. Heute bedienen wir uns aller zweiunddreißig Einteilungen und können so unsere Position auf See ziemlich akkurat bestimmen. Diese Methode bezeichnen wir als >blinde Berechnung<. Diese Kompassrose hier«, fuhr er leicht verschämt fort, »haben mein Bruder und ich in unserem Kartengeschäft unten am alten Hafen von Genua kopiert.« In Gedanken hatte er den Raum verlassen und war in seine Heimat zurückgekehrt, das entnahm ich dem wehmütigen Ausdruck, der mit einem Mal in seine Augen getreten war. In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Stolz und Heimweh mit.
    Meine Haltung ihm gegenüber änderte sich schlagartig, seit ich wusste, dass auch er einen Teil seines Herzens anderswo zurückgelassen hatte. »Hat Euch Euer Bruder gelehrt, das Meer so zu lieben?«
    »Er und mein Schwiegervater.«
    »Ihr seid verheiratet?« Es gelang mir nicht, meine Überraschung zu verbergen. Auch hässliche Männer heirateten oft, glichen aber ihr abstoßendes Äußeres für gewöhnlich durch ein großes Vermögen aus. Doch von der Natur benachteiligte junge Lehrer mit wenig Geld und noch weniger Aussichten für die Zukunft? Erstaunlich. Vielleicht wurden manche Dinge in Genua anders gehandhabt.
    »Ja. Meine Frau heißt Filipa, sie lebt auf den Azoren.« (Ich hatte keine Ahnung, wo das sein sollte, und weiß es bis heute nicht.) »Ich habe auch einen kleinen Sohn. Er wurde erst vor kurzem geboren, ich habe ihn

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