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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Matte flammend roten Haares bedeckt.
    Obezione due : Er hatte eine Knollennase.
    Obezione tre : Was sich unter seinem Hosenlatz wölbte, wirkte für meinen Geschmack entschieden zu aufgedunsen und schwammig.
    Aber ich erkannte gleich bei unserer ersten Unterrichtsstunde, dass er klüger war als jeder andere Mann, der mir je begegnet war - mit einer Ausnahme.
    Der Unterricht wurde immer in demselben Raum abgehalten, der Salle delle Mappe, einer geräumigen Halle im oberen Stockwerk des Palastes meines Vaters, deren Wände mit von Venedigs größten Künstlern angefertigten Karten, Tabellen und Grafiken bedeckt waren. Reiserouten wurden durch lange gewundene Linien wiedergegeben, Winde als bärtige Götter mit aufgeblasenen Wangen dargestellt, an jedem Sims hingen Kompasse wie fremdartige Früchte, und Fabelwesen spähten aus den wogenden Wellen hervor, während Schiffe mit geblähten Segeln um ihre klaffenden Mäuler herumnavigierten.
    Trotz seines abstoßenden Äußeren erwies sich Signore Cristoforo
als freundlich, umgänglich und - nachdem ich mich an seinen schweren Seemannsakzent gewöhnt hatte - auch als unterhaltsamer Mann und guter Gesellschafter, der völlig in seinem Lieblingsthema aufging. Einmal mehr erlebte ich es, dass die fleischlichen Gelüste eines Mannes hinter einer anderen, alles beherrschenden Leidenschaft zurückstanden. Botticelli, auf seine Art auch ein Genie, wie ich widerwillig zugeben musste, hatte mich nicht anders angesehen als eine Schale mit Früchten, die er malen sollte; als Frau hatte er mich überhaupt nicht wahrgenommen. Und dieser eigenartige kleine Mann, der in die Augen des Windes statt in die meinen starrte, betrachtete viel lieber Kompasse als mein Gesicht und interessierte sich mehr für Längen- und Breitengrade als für die feinen blauen Äderchen, die sich über meinen Busen zogen.
    Inzwischen wusste ich ein bisschen mehr über den Ort, an dem ich lebte; wusste, dass die Stadt, ein geograflsches Trugbild, wenn es je eines gegeben hat, das Tor zum Schwarzen Meer und aller Handelsrouten von hier nach Konstantinopel darstellte. Von Signore Cristoforo erfuhr ich von der Rivalität, die bezüglich dieser Routen zwischen Venedig und Genua herrschte, denn wie es aussah, war seine Heimatstadt der einzige Hafen, der Venedig die Vorherrschaft zur See streitig zu machen vermochte. Sie wetteiferten im Anfertigen immer neuer Seekarten und bemühten sich, immer größere und schnellere Schiffe zu bauen, die von Osten und Westen her die Meere befuhren. Von ihm lernte ich alles über die groϐen Vermessungseinheiten - über Fäden, Leugen und Breitengrade. Hier brachte er mich übrigens zum Lachen, weil er behauptete, die Krümmung des Horizonts auf See lege für ihn den Schluss nahe, dass die Erde rund wie ein Apfel und nicht flach wie eine Scheibe war. (Ich sagte ja schon, dass er einen merkwürdigen Sinn für Humor hatte.) Von ihm lernte ich auch, dass eine der frühesten und kompliziertesten Karten hier in Venedig von einem Priester namens Fra Mauro angefertigt worden war. Er fuhr mit mir über die Lagune zu der
Glasinsel Murano, denn wir hatten die Sondererlaubnis erhalten, das Kloster San Michele zu betreten, um uns das Wunderwerk anzusehen. Während ich die verrückten Linien und Unterteilungen und die goldenen Darstellungen der Länder unserer Welt auf einer riesigen azurblauen Scheibe betrachtete, grübelte ich darüber nach, wie klein und trotzdem mächtig unsere eigene Halbinsel war. Als wir den Rückweg über die heute aufgewühlte jadegrüne Lagune antraten, hatte ich Gelegenheit, mich persönlich davon zu überzeugen, was für ein geschickter Seemann Signore Cristoforo war. Ich saß gegen ein Kissen gelehnt da, leckte mir die salzige Gischt von den Lippen und war vollkommen entspannt - im Gegensatz zu meiner allgegenwärtigen Anstandsdame, der armen Marta, die würgend über der Bordwand hing. Voll schadenfroher Genugtuung verfolgte ich, wie die verräterische Hexe ihren Mageninhalt an die Fische verfütterte. Mir selber war es vor Neapel, wo unser Schiff gesunken und ich fast ertrunken war, viel schlimmer ergangen. Dann sah ich meinen Lehrer an, der das Ruder sicher handhabte und mit schmalen Augen immer wieder zum Horizont hinüberspähte, und fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass ich über weitaus größere praktische Erfahrung auf See verfügte, als er dachte. Aber er war eifrig damit beschäftigt, mich vor der Springflut oder dem acqua alta zu

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