Das Geheimnis Des Frühlings
recht, aber es war zunächst das Wichtigste, von der Stadt wegzukommen, denn schon allein auf den Diebstahl von Il Moros Pferd steht die Todesstrafe, von unseren anderen Vergehen ganz zu schweigen. Aber da wir anscheinend keine unmittelbaren Verfolger auf den Fersen haben, reiten wir jetzt Richtung Westen weiter.«
Wir saßen nebeneinander auf dem kalten Boden und sahen zu Mailand hinüber. Die Stadtmauer wand sich tückisch wie
eine Schlange um die Stadt; hielt die Bewohner drinnen fest und verwehrte dem Rest der Welt den Zutritt.
»Sie sieht wie eine Schlange aus, nicht wahr?«, verlieh ich meinen Gedanken Ausdruck, da mein Begleiter beharrlich schwieg.
»Ja, Nehushtan oder Aarons Stab oder...«
Er brach ab, als habe ihn plötzlich der Schlag getroffen. Und sog zischend den Atem ein.
»Was ist?«
»Jesu. «
»Was?«
» Ich weiß, was sie vorhaben! «
»Wer?«
»Wer wohl? Die Sieben natürlich! Bei Maria und allen Heiligen... Vor Schreck bediente er sich wieder biblischer Worte.
»Können wir die Bibel einen Moment beiseitelassen? Was haben sie vor?«
»Aarons Stab. Also hatte ich doch recht.«
»Komm zur Sache!«
»Aarons Stab verwandelte sich in eine Schlange. Am Tag des Jüngsten Gerichts sollte sie in das Tal Joschafat zurückkriechen.«
»Ich sagte doch, du sollst die Bibel beiseitelassen!«
»Aber dort steht die Lösung ja. Im Buch Joel, Kapitel vier, Vers zwei: >Will ich alle Völker zusammenbringen und will sie ins Tal Joschafat hinabführen.< Verstehst du? Will ich alle Völker zusammenbringenl «
»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst.«
Er nahm mich bei den Schultern und sah mir in die Augen. »Erinnerst du dich an die Nacht im Pantheon in Rom, kurz vor der Mondfinsternis, als wir den Marmorfußboden bewundert haben? Der Marmor kam aus allen Ecken des römischen Reiches und wurde zu einem Boden zusammengefügt. Ich sagte zu Don Ferrante, dies sei das in Marmor festgehaltene Konzept eines Kaiserreiches.«
»Und?«
»Und das, das hier...« Ohne zu fragen, schob er eine Hand in mein Mieder, zog den cartone heraus und wedelte damit vor meiner Nase herum. »Die Primavera ist das in Farbe festgehaltene Konzept eines Kaiserreiches!«
»Ich begreife immer noch nichts.«
»Lorenzo und die Sieben planen, sich ein Reich aufzubauen. So wie es die Römer einst getan haben. Sie wollen die Zeit wieder aufleben lassen, wo unsere Halbinsel vereint war und die Welt vom Westen bis zum Osten beherrscht hat. Ich will alle Völker zusammenbringen . Sie verfügen über eine Armee, eine Flotte, Bodenschätze und eine mächtige Bank. Sie beabsichtigen, die gesamte Halbinsel zu überrennen, die Völker zwangsweise zu vereinen und ein neues Italia zu schaffen.«
»Das war es!« Das Wort flammte vor mir auf wie ein Sonnenstrahl.
»Wie bitte?« Nun war es an Bruder Guido, mich verständnislos anzustarren.
Ich brachte die Worte nicht schnell genug über die Lippen. »Der silberne Engelstaler. Die Münze, die ich in der Mine von Bozen gefunden habe. Die ich in der Kutsche verloren habe und die meine Mutter gefunden hat. In eine Seite war Sol invictus und Lorenzos Profil eingeprägt. Auf der anderen stand ein Wort - Italia.«
»Da haben wir es. In Silber festgehalten. Dem Metall des Judas.« Er schüttelte den Kopf. »Wann war das?«, drängte er.
Der plötzliche Themawechsel brachte mich durcheinander, aber ich bemühte mich nach Kräften, mich zu erinnern. »Ich habe Venedig Anfang März verlassen, dann waren wir in Bozen, dann sind wir hierhergereist... Mitte März, würde ich sagen.«
»Den Iden des März, um genau zu sein.«
»Aber ich weiß es nicht mehr genau.«
»Ich denke, ich schon. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Er griff nach den Zügeln, sprang auf den Rücken des Hengstes und zog mich ohne Umschweife zu sich hinauf.Dann trieb
er das arme Pferd so hart an, dass es aus dem Unterholz schoss. Die Sterne wirbelten über meinen Kopf hinweg, der Wind pfiff mir um die Ohren, und ich musste meine Frage herausbrüllen, damit Zephyr sie nicht davontrug.
»Wie viel Zeit, bis was geschieht?«
»Bis für die Florentiner ein neues Jahr und für die Medici die Herrschaft über ein neues Reich anbricht.« Er drehte den Kopf zu mir. »Bis zum ersten Tag des Frühlings.«
Teil 9
GENUA
März 1482
1
Unsere Reise nach Genua war die bislang schlimmste.
Meine Freude darüber, wieder mit Bruder Guido vereint zu sein, konnte ich nicht auskosten, denn wir führten einen Wettlauf
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