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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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gegen den Frühling selbst. Bruder Guido rechnete aus, dass uns weniger als eine Woche bis zum 21. März blieb - dem Tag, der sowohl laut dem christlichen als auch laut den heidnischen Kalendern als erster Tag des Frühlings galt. Er war sich sicher, dass der Angriff an diesem Tag erfolgen würde, weil nicht nur das Gemälde nach dieser Jahreszeit benannt worden war, sondern auch Polizianos Ode fest mit dem Thema des kommenden Frühlings, der Erneuerung, einer neuen Welt und anderen bedeutsamen Konzepten verankert war. Ich kannte mich auf dem Gebiet der Poesie wenig aus, aber ich konnte mich auf meine Augen verlassen - Flora, also ich, war so eindeutig die zentrale Figur des Bildes; sie war es, die dem Betrachter in die Augen sah, sie war es, die mit einem Versprechen schwanger ging. Die darin enthaltene Ironie entging mir nicht - fast ein Jahr zuvor hatte mein letzter Kunde und Bettgenosse Bembo mir versichert, ich würde die wichtigste Figur in Botticellis Gemälde sein. Damals hatte ich das für Schmeichelei gehalten, nun wusste ich es besser.
    Ludovicos Armee war uns die ganze Zeit auf den Fersen. Bruder Guido hatte mir gesagt, sie würde sofort in Marsch gesetzt werden, wenn entdeckt wurde, dass das Pferd und ich verschwunden waren. Einmal sahen wir die große Infanterietruppe sogar auf einem entfernten Bergpass, unkörperlich
wie Ameisen, aber nur einen Tagesritt von uns entfernt. Und während die Armee der Sieben an Boden gewann, zog der Frühling ins Land; Berge aus schimmerndem Eis verwandelten sich in grüne Hügel, um deren Füße sich weiße Dörfer zogen. Der warme Atem des nahenden Frühlings, der erste Tag im Jahr, an dem man den Umhang ablegen konnte und der von den Menschen für gewöhnlich begeistert willkommen geheißen wurde, war für uns das erschreckende Zeichen des bevorstehenden Jahreszeitenwechsels. Die Schneeschmelze setzte ein.
    Und es gab noch immer so viele Rätsel zu lösen, bevor wir die Stadttore Genuas passierten. Welche Rolle spielte die Stadt in dieser Verschwörung? Wie konnte sie ein Mitglied der Sieben sein, wenn wir schon sieben goldene Mitgliedsringe gesehen hatten? »Es sei denn, die Zahl Sieben bezieht sich auf all die anderen Verschwörer, die sich Lorenzo de’ Medici angeschlossen haben.«
    »Dann hätten sie sich sicherlich >Die Acht< genannt«, gab mein Begleiter zu bedenken. »Nein, ich schätze, der Herrscher dieser Stadt trägt keinen Ring, auch wenn ich dir keinen Grund für diese Annahme nennen kann. Vielleicht hat Genua gar nichts mit all dem zu tun.« Das konnte ich beinahe glauben, wäre da nicht Simonetta, die Perle von Genua gewesen. Das berühmte Gesicht war unverwechselbar.
    In der Hügelstadt Torriglia verlor Il Moros Pferd ein Eisen. Da wir dadurch gezwungen waren, unsere Reise zu unterbrechen, machten Bruder Guido und ich zum ersten Mal seit unserem Aufbruch Rast. Wir teilten uns in einer Schänke am Straßenrand einen Krug Wein und einen Laib Brot. Den Tisch vor der Tür der Schänke hatten wir so gewählt, dass wir alle Zugänge zum Marktplatz der Stadt und den Schmied im Auge behalten konnten, der unser Pferd beschlug. Ein Stück unter uns war eine von Granitmauern umgebene Küstenstadt aus dem Seedunst aufgetaucht.
    Genua.

    Wir entrollten wieder einmal den cartone, stellten unsere Becher auf die Ecken und starrten die schönen Züge der letzten Figur der Szene an. Simonetta Cattaneo, die verstorbene legendäre Schönheit̶laut Bruder Guido ein lebensechtes Porträt. »Sie erscheint mir so... so wichtig für das Gesamtbild«, meinte ich. »Sie hält die Hände von Neapel und von Pisa.«
    »Nicht nur das. Botticellis, ich meine Merkurs Schwert, ein Krummsäbel wie der, den ich hier trage«, er klopfte auf die Schwertscheide an seinem Gürtel, »ist direkt auf Simonetta gerichtet, siehst du? Die Spitze berührt fast ihr Bein - ich bin sicher, dass sie zumindest den Stoff ihres Kleides berührt. Das deutet auf eine Beteiligung Genuas an der Verschwörung hin, Ring hin, Ring her.«
    Ich kniff die Augen zusammen. »Du hast recht.«
    »Und da ist noch etwas«, fuhr er fort. »Simonetta ist das einzige bekannte Gesicht in dem ganzen Bild.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nun, sie war wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt. Die anderen Frauen sind nur in ihren eigenen Staaten bekannt. Die Schönheit deiner Mutter ist gleichfalls legendär, aber niemand kennt ihre Züge, weil sie nie ohne Maske ausgeht. Du, die Schönste von allen« - ich unterdrückte ein

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