Das Geheimnis Des Frühlings
nicht.«
Ich nahm mir nicht die Zeit, ihm zu erklären, dass ich mir bezüglich meiner Mutter keine Sorgen machte, weil sie ihn nur einmal auf der Medici-Hochzeit gesehen hatte, Niccolo jedoch mit ihm aufgewachsen war. Stattdessen kam ich sofort zur Sache. »Lass dir eines von mir sagen«, zischte ich. »Ich kannte genug Männer, die die Vorliebe deines Vetters geteilt haben, und zu den Dingen, die diese Männer am liebsten tun, gehört es, Soldaten lüstern zu beobachten.« Wir hatten die Tür fast erreicht. »Außerdem stehe ich ab morgen unter der Bewachung der Leibgarde meines Vaters. Dann ist eine Flucht so gut wie unmöglich.«
Das gab den Ausschlag. »Gut. Dann müssen wir heute Nacht verschwinden. Halte dich bereit.«
Ich nickte hastig. Noch zwei Biegungen bis zum Licht, noch zwei Fragen. »Was hat dieser toskanische Ingenieur auf Lateinisch gesagt? Das Wort Primavera habe ich natürlich verstanden, aber den Rest nicht.«
Er sah mich an. »Er sagte: >Nach dem Winter kommt der Frühling.«
Den Rest des Tages verbrachte ich in einem Zustand qualvoller Erwartung. Die Symptome kannte ich schon von dem Tag vor
meiner geplanten Flucht aus Venedig her - ich brachte keinen Bissen hinunter, mein Magen krampfte sich ständig schmerzhaft zusammen, meine Wangen brannten, und meine Augen glänzten, was meine Mutter dazu veranlasste, mich, als wir in Il Moros Kutsche auf dem Weg zur Messe waren, zu fragen, ob ich Fieber hätte. Woraufhin Herzog Ludovico mir auf den Rücken schlug, als hätten wir im Wachhaus einen Grappa zusammen getrunken, und verkündete: »Fieber, in der Tat... Liebesfieber, würde ich sagen. Nur die Freude auf ein Wiedersehen mit ihrer wahren Liebe verleiht einem Mädchen so rosige Wangen und lässt die Augen blitzen. Die Ursache für diese Krankheit heißt della Torre. Kein Grund zur Sorge, Dogaressa.«
Während ich nach dem Schlag husten musste und mir ein höfliches Lächeln abrang, dachte ich, dass Il Moro nicht ganz unrecht hatte; mein fiebriger Zustand war in der Tat auf meine wahre Liebe zurückzuführen, nur meinte er den falschen della Torre.
Und dann fand ich mich zum dritten Mal an diesem Tag in einer mailändischen Basilika wieder. Seit ich in dieser Stadt weilte, hatte ich mehr Kirchen besucht als in meinen gesamten sechzehn vorigen Jahren zusammen. Diesmal wurde der Gottesdienst in dem großen Duomo abgehalten. Das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, warf einen grünlichen Schein über die Säulen, die sich über uns bogen wie ein riesiger Brustkorb, und ließ sie wie ein Knochengerüst erscheinen. Heute war ich also kein Daniel in der Löwengrube, sondern Jonas im Bauch eines Wales. Würde mir die Flucht gelingen? Diese Frage marterte mich unaufhörlich, und von der zweistündigen Messe, die kein Ende nehmen wollte, bekam ich kaum etwas mit.
Zurück in der Burg wartete ich ungeduldig darauf, dass ich zum Essen gerufen wurde. Heute war ich eingeladen, an der Mahlzeit teilzunehmen, worauf ich gut hätte verzichten können, da mein Magen vor Nervosität wie zugeschnürt war. Zur Vesper musste ich wieder in meiner Kammer sein, also entschuldigte
ich mich damit, meinen Schlaf zu brauchen, um meinen Verlobten morgen frisch und ausgeruht zu empfangen, und erhob mich von der Tafel. Meine Mutter schien meiner Ausrede Glauben zu schenken, ließ mich aber trotzdem von zwei Wächtern zurückbringen und einschließen.
Vorbreitungen für meine Flucht brauchte ich nicht mehr zu treffen; ich hatte schon lange gelernt, alles, was ich benötigte, stets am Leibe zu tragen. Ich kramte meinen wärmsten Umhang hervor, wickelte die Maske meiner Mutter darin ein und legte ihn auf den Stuhl, die einzige Sitzgelegenheit im Raum. Dann wartete ich auf das Läuten der Glocken. Im selben Moment, da sie mit dröhnendem Klang zur Vesper riefen, hörte ich Schritte vor meiner Tür, und der Schlüssel wurde gedreht. So bald schon! Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich aufsprang.
Die Tür schwang auf.
Vor mir stand meine Mutter.
6
Sie lächelte, was nicht dazu beitrug, meine Furcht zu lindern. Eine freundliche Miene hatte bei meiner prismengleichen Mutter überhaupt nichts zu bedeuten; sie würde auch dann noch lächeln, wenn sie jemandem ein Messer in den Leib stieß. Ich hielt ihrem Blick stand wie ein verängstigtes Kaninchen dem eines Fuchses und betete inbrünstig, sie möge nicht fragen, warum mein Umhang auf dem Stuhl bereitlag. Natürlich ging sie als Erstes dort hinüber und fegte ihn
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