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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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»Zwei Männer, der Rest sind Frauen.«
    »Sechs Frauen und zwei Männer. Gut.«
    Das war einfach. »Einer der Männer ist... ein blauer Baumkobold.«
    Bruder Guido prustete vor Lachen und versuchte zu spät, es durch ein Hüsteln zu vertuschen. »Entschuldigung. Ein was?«
    Nach dem viel versprechenden Anfang war ich geknickt. »Er sieht aus wie ein Baumkobold«, protestierte ich, auf die Figur ganz rechts im Bild deutend. »Er ist blau. Und er hat Flügel und haust in einem Baum.«
    »Richtig.« Bruder Guido hatte seine Fassung wiedergewonnen. »Verzeiht mir. Ich habe Eure etwas... heidnische Bezeichnung nicht gleich verstanden. Und weiter?«
    Ich beantwortete seinen überheblichen Ton damit, dass ich mich so rüde ausdrückte wie möglich. »Und er versucht das Mädchen zu vögeln, das Blumen auskotzt.« Ich zeigte auf das Mädchen in Weiß, aus deren Mund ein Blumenstrom quoll. Er zuckte angesichts meiner ordinären Sprache merklich zusammen.
    »Er scheint sie entführen oder« - er räusperte sich - »vergewaltigen zu wollen.« Verlegen wandte er den Blick ab, aber ich hatte zu meiner Zeit schon weit Schlimmeres gehört. Und war dafür bezahlt worden. »Gut. Und was ist mit dem anderen Mann?«
    Zum ersten Mal betrachtete ich die Kriegergestalt mit dem Schwert genauer, schrak zusammen und sah noch einmal hin.
    Dem Mönch entging meine Verwunderung nicht. »Was ist denn?«
    »Das ist er selber! Botticelli!«
    »Ein Selbstporträt? Seid Ihr sicher?« Bruder Guido beugte sich vor, sodass seine Locken meine Wange streiften.
    »Ja.« Seine Nähe verschlug mir plötzlich den Atem. (Falls ihr euch erinnert: Ich werde normalerweise ein halbes Dutzend
Mal am Tag flachgelegt und musste es jetzt von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang ohne Mann aushalten.) Es fiel mir schwer, mich auf unser momentanes Problem zu konzentrieren. »Das ist er, wie er leibt und lebt. Ich begreife gar nicht, warum mir das nicht schon vorher aufgefallen ist. Er trägt sogar denselben Umhang, den er getragen hat, als er mich gemalt hat.«
    »Gut.« Der Bruder rückte ein Stück von mir ab, um sich nachdenklich das Kinn zu reiben. Ich vermisste seine Nähe sofort. »Das muss eine Bedeutung haben. Wir werden später darauf zurückkommen. Was ist mit den anderen Figuren?«
    »Na ja, die in der Mitte sieht aus wie eine Königin oder Madonna, und die neben ihr, die Schwangere... nun, das bin ich.«
    »Flora. Eine Figur haben wir wenigstens schon identifiziert. Und ich glaube, die andere, die Ihr als Königin bezeichnet habt, könnte Venus darstellen, die Göttin der Liebe.«
    Ich nickte, als wäre mir genau der gleiche Gedanke gekommen. »Und dann sind da drei Mädchen in Weiß.« Ich musterte das anmutige Trio. »Es sieht aus, als würden sie tanzen.«
    »Das denke ich auch. Es dürfte sich um die drei Grazien aus der griechischen Mythologie handeln.«
    Ich fühlte mich allmählich besser. »Außerdem liegen viele Blumen auf dem Boden, und« - ich kniff die Augen zusammen - »die Bäume hängen voller Orangen.«
    »Ausgezeichnet.«
    Ich lehnte mich mit triumphierend geröteten Wangen zurück und wandte mich an den Bruder. »Was schließt Ihr daraus?«
    »Nun, was mir als Erstes in den Sinn kam, waren die >Stanze<, ein allegorischer Gedichtzyklus von Andrea Poliziano, einem geschätzten Dichter am Hof der Medici. Die Allegorie bezieht sich auf die Metamorphose des Frühlings zum Sommer, was mit dem Titel des Bildes übereinstimmt: Primavera, was >Frühling< bedeutet. Nun würde man höchstwahrscheinlich
annehmen, dass die Szene mit den Figuren rechts, die eindeutig die Schändung des Schäfermädchens Chloris durch den Westwind Zephyr und ihre darauffolgende Verwandlung in die Göttin Flora, die Ihr verkörpert, darstellt, den Anfang bildet und das Bild wie die meisten Werke dieser Art von rechts nach links zu lesen ist. Aber die Gegenwart Eures Freundes Botticelli auf der linken Seite des Gemäldes neben den drei Grazien macht mich stutzig. Obwohl er als Merkur auftritt, der geflügelte Bote, der mit dem Monat Mai verbunden ist, was meine erste Theorie zu beweisen scheint, denke ich, dass die Art, wie er seinen Caduceus in die Höhe hält und die Wolken im Uhrzeigersinn wegschiebt, darauf hindeutet, dass das Bild genau andersherum, nämlich von links nach rechts gelesen werden muss. Und wenn man sich die Landschaftsausschnitte hinter den Figuren sehr genau ansieht, bemerkt man, dass das Land rechts die goldenen Farben von Sommer und Herbst aufweist und

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