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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Meine Erinnerung kehrte zu der Schwelle von Bruder Guidos Zelle in Santa Croce zurück, wo ich mich im Dunkeln verborgen hatte. Und dort, über der Tür, war ein Turm eingemeißelt. Ein Turm, der sich zur Seite neigte .
    »Sie ist Pisa«, krächzte ich. Die Anstrengungen der Nacht entlockten mir ein tiefes, kehliges Lachen, das sich einfach nicht zurückhalten ließ. »Sie trägt den Turm auf dem Kopf!«
    Bruder Guido beugte sich über meinen ausgestreckten Finger. Dann begann auch er zu lachen; ein melodisches, in seiner Unvertrautheit etwas merkwürdiges Geräusch.
    »Sie ist es.« Dann, etwas weicher: »Sie ist es tatsächlich.« Er schüttelte den Kopf. »Dass ich, der ich aus Pisa stamme und im Schatten dieses Turmes aufgewachsen bin, das nicht bemerkt habe! Die Umrisse, der Neigungswinkel, alles stimmt. Sogar der Glockenturm auf der Spitze findet sich in den leeren Stellen zwischen den Fingern der Grazien wieder. Ich blinder, hirnloser Trottel! Und was Euch betrifft« - er wandte sich mit einem Lächeln an mich, das mir durch und durch ging -, »Ihr seid der lebende Beweis dafür, dass es viele Dinge gibt, die man nicht aus Büchern lernt.«
    Ich gab das Lächeln fast verschämt zurück, was sonst gar nicht meine Art ist. »Und jetzt?«, fragte ich, obwohl ich mich vor der Antwort fürchtete.
    »Jetzt gehen wir nach Pisa.«

    »Ihr wollt dorthin reisen?«
    »Ja, aus zwei Gründen. Erstens ist mein Onkel ein bedeutender Mann in der Stadt und kann uns vielleicht helfen. Zweitens bringen wir den Vater Abt mit jeder Stunde, die wir länger hierbleiben, in größere Gefahr. Wenn die Mörder uns hier aufspüren, werden sie davon ausgehen, dass wir ihn eingeweiht haben, und beschließen, ihn gleichfalls zum Schweigen zu bringen.«
    »Gilt das nicht auch für Euren Onkel?«
    »Nein, denn er verfügt über Geld und Einfluss.«
    Ich schnaubte verächtlich. »Das tat Bembo auch.«
    Er nickte nachdenklich. »Ja, aber wenn wir den richtigen Zeitpunkt wählen, können wir ihn vielleicht treffen, ohne uns zu erkennen zu geben.«
    »Wie meint Ihr das nun wieder?«
    »Ihr werdet schon sehen«, versetzte er geheimnisvoll, dann hob er den Kopf. »Hört Ihr? Die Glocken läuten zur Prim.«
    »Einen Moment noch.« Ich hielt ihn am Ärmel zurück. »Wir haben Pisa der mittleren Grazie zugeordnet, aber wer sagt denn, dass sie den Anfang dieses Rätsels darstellt? Das Bild zeigt noch andere Figuren. Wir können uns nicht auf diese irrwitzige Reise nach Pisa begeben, nur weil sie Botticelli lüstern ansieht.«
    Bruder Guido lächelte. »Wir können sicher sein, denn die Liebe und nicht die Lust weist uns den Weg. Liebe ist blind, aber seht her, Luciana, er zeigt uns, wie man trotzdem sehen kann. Wir folgen dem Pfeil.« Diesmal war es an mir, in die Richtung eines ausgestreckten Fingers zu blicken. Bruder Guido zeigte auf den pummeligen fliegenden Amor mit den verbundenen Augen. Dann sah ich zu, wie der Zeigefinger des Mönches über den feurigen Pfeil Amors strich, der direkt auf den Kopf der mittleren Grazie zeigte.
    Auf das flammend rote Haar, das aussah, als habe der Pfeil ihren mit dem Turm von Pisa gekrönten Kopf in Brand gesetzt.
    Wir hörten die Messe in der eiskalten Kapelle. Unser Fleisch
wurde auf den Steinen taub, unser Verstand war von unserer Entdeckung wie gelähmt. Wieder in meinen Pelzumhang gehüllt, warf ich Bruder Guido verstohlene Blicke zu. Er war in sein Gebet versunken - er betete wirklich voller Inbrunst; so, als meine er jedes Wort. Später saß ich im Refektorium an einem der langen Tische inmitten der Reihen schweigender Mönche, die alle stumm ihre Mahlzeit einnahmen, während einer von ihnen aus der Bibel vorlas. Erleichtert darüber, nicht sprechen zu müssen, noch nicht einmal mit Bruder Guido neben mir, stopfte ich mir Brot und Stockfisch in den Mund, trank Bier und fühlte mich seltsam zuversichtlich, als wir uns vom Tisch erhoben, um uns von dem Abt zu verabschieden. Wieder standen wir vor dem kleinen goldenen Kloster, ein Tag war verstrichen, und wir wussten sehr viel mehr als bei unserer Ankunft. Florenz schimmerte unter uns im Tal. Waren die Mörder, die uns verfolgten, noch immer dort, oder befanden sie sich bereits in unserer Nähe? Erschauernd wandte ich mich ab und sah den Abt auf uns zukommen, gefolgt von dem kleinen sizilianischen Laienbruder, der zwei tänzelnde Pferde am Zügel führte. Der alte Mann machte uns die Tiere als Gegenleistung für eine zugesagte Spende der della Torres zum

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