Das Geheimnis Des Frühlings
sehen konnten. Er machte auf dem Absatz kehrt, drehte sich aber an der Tür noch einmal um. »Eines noch, Signore.«
Uns stockte beiden der Atem.
»Die Hochzeitsgesellschaft bricht beim Angelus gen Norden auf.« Im nächsten Moment war er verschwunden.
»Beim Angelus?«, fragte ich, als wir die Burg verließen.
»Das ist eine Glocke, die hier im Süden jeden Mittag geläutet wird.« Bruder Guido warf mir einen Blick zu. »Keine Sorge. Die Sonne steht noch tief. Wir haben genug Zeit.«
Er hatte mich missverstanden. Ich hatte keine Angst, den Aufbruch der Gesellschaft zu verpassen; ich fürchtete mich davor, mich ihr anschließen zu müssen. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass wir nach Hause zurückkehren, der Gefahr direkt in die Arme laufen würden.
Während wir den Burghof überquerten, bemerkten wir, dass bereits Reisevorbereitungen getroffen wurden. Schwarz gekleidete Diener waren eifrig damit beschäftigt, Truhen und Proviantkisten hin und her zu schleppen. Wir passierten das Haupttor und schlugen den nördlichen Küstenpfad in die Stadt ein. Beide trugen wir die schlichte schwarze Tageskleidung, die uns unsere jeweiligen Dienstboten gebracht hatten, wobei mir nicht entgangen war, dass mir wieder die maurischen Bademädchen aufwarteten - die drei Mätressen des Königs hatten sich nicht blicken lassen. Ich vermutete, sie hatten am Abend zuvor dem Wein so reichlich zugesprochen, dass sie schlafen würden, bis das Angelusläuten sie weckte. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Kleider zwar schlicht, aber gut geschnitten waren und meinem Begleiter sehr gut standen. Ich hoffte, er würde dasselbe von mir denken, ging aber davon aus, dass er den Kontrast zwischen meinen weißblonden Locken und dem schwarzen Samt, der mich ebenso gut kleidete wie meine gestrige weiße Aufmachung, gar nicht bemerkte. In den Augen der Welt waren wir ein ehrbares Paar, das zur Messe ging. Als wir die Straßen der Stadt erreichten, fühlten wir uns sicher genug, um miteinander zu sprechen.
»Glaubt Ihr, Santiago weiß, was wir vorhaben?«, begann ich. »Ich denke nicht. Er glaubt, er würde etwas wissen, aber das dürfte nichts mit der Primavera zu tun haben, sondern wohl eher mit den Sieben.«
»Vielleicht hat er gestern Abend fleißig die Ohren gespitzt.«
Bruder Guido zuckte die Achseln. »Es stimmt, dass die Spanier einem bisschen Spionage nicht abgeneigt sind. Sie lauschen gern«, fügte er rasch hinzu. »Aber was kann er schon gehört haben? Über das Gemälde haben wir nur gesprochen, wenn es besonders laut im Saal war. Und über Boccaccio und Fiammetta, aber das haben wir ja offen zugegeben.« Er dachte einen Moment nach. »Trotzdem hat er uns etwas Interessantes erzählt. Es kann kein Zufall sein, dass der Name der Kirche San Lorenzo lautet, derselbe Name, denn auch Lorenzo de’ Medici und Lorenzo di Pierfrancesco tragen.«
»Ja, aber viele Kirchen in diesem Land heißen San Lorenzo«, keuchte ich. Ich hatte Mühe, mit den weit ausgreifenden Schritten meines Begleiters mitzuhalten. Mir war schon aufgefallen, dass er immer schneller ging, wenn sich seine Gedanken überschlugen. »Dieser Heilige ist sehr beliebt.«
»Sicher. Aber Lorenzo de’ Medici wird der Große, der Prächtige genannt.«
»Maggiorel«, entfuhr es mir, als mir schlagartig ein Licht aufging. Derselbe Name wie der der Kirche.
»Genau. Und er ist der Vetter unseres zukünftigen Bräutigams, der wiederum Botticellis Mäzen ist. Ich frage mich, ob Botticelli versuchen wird, die Primavera rechtzeitig zur Hochzeit fertigzustellen«, grübelte er. »Dieses Ereignis ist zweifellos nicht einfach nur eine Familienfeier, sondern es hat noch eine tiefere Bedeutung.«
Mein Verstand hielt ebenso mühsam mit ihm Schritt wie meine Füße. »Wollt Ihr damit andeuten, dass Lorenzo di Pierfrancesco einer der Sieben ist?«
»Ich bin mir nicht sicher«, gab Bruder Guido vorsichtig zurück. »Aber ich weiß, dass diese Kirche die Antwort auf zumindest einige unserer Fragen birgt. Daher müsst Ihr jetzt Eure gesamte Beobachtungsgabe und Eure Fähigkeit aufbieten, Schlussfolgerungen zu ziehen.«
»Ihr meint, ich soll die Augen offen halten und meinen Kopf gebrauchen?«
»Das auch.«
Ich fühlte mich in alte Zeiten zurückversetzt. Wie früher bediente er sich langer und ich mich kurzer Worte. Die höher steigende Sonne brannte warm auf meinen Rücken, und mit Bruder Guido an meiner Seite vermochte ich meine Angst vor einer Rückkehr nach Florenz fast zu
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