Das Geheimnis Des Frühlings
Muse.«
»Und in seinen Büchern nennt er sie Fiammetta.«
»Korrekt.«
»Und das Buch in Eurer Hand enthält die Lebensgeschichte dieser Fiammetta.«
»Die L’elegia di Madonna Fiammetta - die Klage der Fiammetta.«
»Und Ihr glaubt, Maria d’Aquino oder Fiammetta oder wie sie sonst noch genannt werden mag ist die tote Frau, die wir suchen, die Frau in der Primavera ?«
»Die Grazie Neapel, ja«, erwiderte er schlicht, zog den cartone aus dem Lederbeutel auf seiner Brust und betrachtete die linke Grazie eingehend.
Ich nahm ihm das Bild aus der Hand und tat es ihm nach. »Wonach sucht Ihr denn jetzt?« Er hatte das Buch zur Hand genommen und blätterte mit dem Geschick jahrelanger Übung behutsam die Seiten um.
»Nach allem, was uns weiterhelfen könnte. Einer Beschreibung. Einem Hinweis. Hört zu.« Sein Finger fuhr über ein paar Zeilen. »Ihr Haar ist von einem Blond, das sich mit nichts vergleichen lässt; es umrahmt eine Stirn von edler Breite, unter der sich zwei zarte schwarze Brauen wölben... Darunter funkeln zwei strahlende Augen, und darunter schimmern milchweiße Wangen. «
»Stimmt«, gab ich zu. »Das klingt nach ihr. Und jetzt?« »Ich denke, ich bleibe heute Nacht wach und lese dieses Buch. Bei Tagesanbruch bin ich vielleicht auf etwas gestoßen.«
Ich sah erst ihn an, dann das Buch. Es war dünn, doch selbst
ein schneller Leser würde Stunden dafür brauchen. Und er wirkte mit einem Mal abgrundtief erschöpft, die Aufregungen und Gefahren des Tages hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
»Oder wir finden den Namen der Kirche heraus, in der sie sich kennengelernt haben, und beginnen dort.«
Er lächelte erleichtert. »Wieder einmal trägt Eure praktische Veranlagung den Sieg über meinen Intellekt davon. Wir haben beide dringend etwas Schlaf nötig.«
Ich blieb so lange an der Tür stehen, dass er noch etwas hinzufügte.
»Ihr in Eurem und ich in meinem Bett.«
Nun ja, einen Versuch war es wert gewesen. Ich zog mich zurück und schloss die Tür. In meiner eigenen Kammer trat ich ans Fenster und warf einen letzten Blick auf die Bucht unter mir. Der Mond schien unnatürlich hell zu leuchten. Hoffentlich war das kein böses Omen.
7
Am nächsten Morgen machten wir uns als Erstes auf die Suche nach Santiago. Wir stöberten ihn im Bankettsaal auf, wo er uns mit seinem öligen Dauerlächeln fixierte. Seit wir als Ehrengäste betrachtet wurden, war ihm nichts zu viel für uns.
»Guter Mann«, begann Bruder Guido gebieterisch, »Signorina Vetra und ich gedenken einen Gottesdienst zu besuchen, um dort für das Glück von Lorenzo di Pierfrancesco zu beten, der in Kürze heiraten wird. Seine Majestät Don Ferrante erwähnte gestern Abend eine ganz bestimmte Kirche, in der eine lokale Legende ihren Anfang genommen haben soll. Diese Legende rankt sich um den Schriftsteller Boccaccio, dessen Werk Ihr mir gestern freundlicherweise noch beschafft
habt.« Er ließ den Namen ganz beiläufig fallen, damit Santiago keinen Verdacht schöpfte. »Wisst Ihr, ob diese Kirche weit von hier entfernt ist?«
Der Majordomus lächelte jedoch viel sagend und nickte nachdrücklich. Wäre er schlichteren Gemütes gewesen, hätte er Bruder Guido jetzt verständnisinnig zugezwinkert. So verschwörerisch, als hätte dieser ihn gebeten, ihm einen kleinen Knaben zu beschaffen, antwortete er: »Ah ja, natürlich. Mein Herr und ich hatten damit gerechnet, dass Ihr die... Kirche sehen wollt.« Er verlieh dem Wort »Kirche« eine wissende Betonung. »Ihr müsst ein Stück in nordöstlicher Richtung in die Stadt gehen. Nehmt die Via Nilo, denn dort steht eine interessante römische Statue - die Figur des Flussgottes Nil, der man nachsagt, sie würde schöne Frauen ansprechen, wenn sie an ihr vorbeigehen.« Er verneigte sich leicht vor mir. »Angesichts Eurer Reize, Dona, kann Nil unmöglich stumm bleiben.«
Mein Lächeln stand dem seinen an Falschheit in nichts nach.
»Wie lautete doch gleich der Name der Kirche?« Don Ferrante hatte den Namen nie erwähnt, und ich musste Bruder Guidos Schauspielkünsten einmal mehr Bewunderung zollen.
»San Lorenzo Maggiore«, versetzte Santiago bedeutungsvoll.
»Ah ja.« Bruder Guido nickte. »Ich erinnere mich, dass mir gerade diese Kirche als passender Ort für unsere Gebete erschien, da sie dem Heiligen geweiht ist, dessen Namen sowohl Il Magnifico als auch sein Vetter, der Bräutigam, tragen.«
Santiago verbeugte sich so tief, dass wir seine Reaktion auf diese Worte nicht
Weitere Kostenlose Bücher