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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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verdrängen. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Mein Blick schweifte über die Heiligenstatuen und Madonnenfiguren, die uns aus ihren Nischen heraus anstarrten, und plötzlich kehrte eine Erinnerung mit Macht zurück. »Was hat Don Ferrante mit der Bemerkung gestern Abend gemeint? Über das Blut irgendeines Heiligen, das nicht flüssig geworden ist?«
    »Ach ja, das Wunder des San Gennaro«, erwiderte er prompt. »Die Diener, die mir beim Ankleiden behilflich waren, haben mir die Geschichte erzählt. Dreimal im Jahr wird in der Kathedrale hier eine Phiole mit dem Blut des neapolitanischen Schutzheiligen, San Gennaro, in die Höhe gehalten. Dieses Blut ist erstarrt und verklumpt, aber nach Gebeten und wiederholtem Anflehen des Heiligen verflüssigt es sich auf wundersame Weise, und die Phiole wird geschüttelt, damit alle Gläubigen sehen können, was geschehen ist. Fast alle Stadtbewohner stellen sich sieben Tage lang an, um die Phiole zu küssen. Beim letzten Mal hat sich das Blut allerdings nicht verflüssigt, was als böses Omen angesehen wird.«
    Ich dachte darüber nach. »Was ist denn beim letzten Mal passiert, als das Blut nicht flüssig wurde?«
    »Der Vulkan ist ausgebrochen«, versetzte er knapp.
    Ich beäugte den blauen Berg über uns misstrauisch. Er wirkte im Moment recht friedlich. »Und Ihr glaubt an diese Geistergeschichte?«, fragte ich mit unverhohlenem Zynismus.
    Bruder Guido zuckte die Achseln. »Wunder sind immer eine Frage des Glaubens, und für Gläubige ist alles möglich. Außerdem kommt es nicht darauf an, ob ich daran glaube oder nicht. Der springende Punkt ist, dass die Diener und der gesamte Hofstaat es tun, wie Ihr ja gesehen habt. Sie sind wirklieh
davon überzeugt, dass ein Unglück über die Stadt hereinbrechen wird, und das ist einer der Gründe, warum der König so erpicht darauf ist, gen Norden zu reisen. Wenn er zurückkommt, ist es schon fast wieder Zeit, das Blut ein weiteres Mal zu überprüfen, und dann fällt das Ergebnis vielleicht günstiger aus.«
    Ich schüttelte den Kopf, verkniff mir aber weitere spöttische Bemerkungen. Aberglauben hielt ich für ausgemachten Unsinn, aber ich wollte Bruder Guido nicht kränken - nicht jetzt, da wir gerade wieder zu zaghafter Kameradschaft zurückfanden. Also wechselte ich das Thema. »Gehen wir überhaupt in die richtige Richtung?«, erkundigte ich mich.
    »Ich denke schon. Seht einmal. Dort steht die Statue, von der Santiago gesprochen hat.«
    »Ach ja.« Meine Lippen kräuselten sich. »Der Flussgott Nil, der mit hübschen Mädchen spricht.«
    Bruder Guido lächelte nur. »Ob er das tut oder nicht, dies hier ist jedenfalls die Via Nilo. Demnach sind wir auf dem richtigen Weg.«
    Wir näherten uns der Statue, und ich betrachtete sie eingehender. Es war die Figur eines alten Mannes, der die Elemente schwer zugesetzt hatten. Nichtsdestotrotz wirkte er erstaunlich lebensecht, und als ich in seine schläfrigen Augen blickte, las ich dort große Weisheit und war mir auf einmal gar nicht mehr sicher, ob er nicht doch sprechen konnte. Ohne zu wissen warum, blieb ich ein Stück hinter Bruder Guido zurück, dann sah ich den alten Steinmann an. »Ich grüße dich«, flüsterte ich, obwohl ich mir dabei lächerlich vorkam.
    »Schau hinter dich«, erwiderte er mit einer Stimme so knirschend wie Schotter und so alt wie die Zeit. Ich spürte, wie mir das Blut in den Adern gefror. Die steinerne Statue konnte doch nicht wirklich zu mir gesprochen haben? Wider besseres Wissen drehte ich mich langsam um. Und da sah ich sie zum ersten Mal: die Kreatur, die uns verfolgte.
    Ein Aussätziger - das verrieten mir seine Gewänder - lehnte
an den Überresten einer römischen Säule und streckte almosenheischend die Klauenhand aus. Aber er gab nur vor, ein Bettler zu sein, denn er sah mich direkt an, mit Augen, die ich nie vergessen werde. Sie waren fast silbern, brannten förmlich in seinem Gesicht und lösten in mir abgrundtiefes Entsetzen aus. Einen Herzschlag lang kreuzten sich unsere Blicke, dann begriff er, dass er aufgefallen war, und verschwand hinter der Säule. Ich hätte ihm folgen können, konnte es aber nicht abwarten, dem Bannkreis seiner bösartigen Gegenwart zu entkommen. Ich rannte los, um Bruder Guido einzuholen, ohne mich damit aufzuhalten, mich bei der Statue zu bedanken, die mich vor dem grässlichen Geschöpf gewarnt hatte. Während ich mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte, stellte ich drei Vermutungen auf, die ich

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