Das Geheimnis Des Frühlings
nicht beweisen konnte.
Cosa uno: Der Aussätzige folgte uns seit Florenz.
Cosa due : Er hatte Enna, Bembo, Bruder Remigio und auch Signore Silvio getötet.
Cosa tre : Sein eigentlicher Auftrag lautete, uns umzubringen.
Ich packte Bruder Guidos schwarzen Ärmel und zog ihn mit mir, was den Eindruck eines Paares, das fürchtet, zu spät zur Messe zu kommen, noch verstärkte. Doch er bemerkte sofort, dass ich in heller Aufregung war.
»Was ist passiert?«
»Nichts«, versicherte ich ihm hastig. »Ich mache mir nur Sorgen, dass uns die Zeit knapp wird. Seht Ihr?« Ich nickte zum strahlend blauen Himmel empor. »Die Sonne steigt immer höher.«
Er beschleunigte gleichfalls seine Schritte, und kurz darauf standen wir vor der Kirche, einem majestätischen Sandsteingebäude mit einem hohen Turm. Nach der Helligkeit draußen konnten wir im Inneren zunächst kaum etwas sehen und tasteten uns wie Maulwürfe vorwärts. Es dauerte nicht lange, bis uns klar wurde, dass wir den Gottesdienst verpasst hatten. Bis auf einen Priester am anderen Ende des Kirchenschiffs, der
die Kerzen löschte, war niemand mehr hier. Wir wechselten einen erleichterten Blick. Jetzt konnten wir die Kirche ungestört erforschen, ohne neugierigen Augenpaaren ausgesetzt zu sein.
»Fangen wir an«, flüsterte Bruder Guido. »Achtet auf alles, was mit einer Frau, einer Haarlocke oder einem Schmuckstück wie dem auf dem Bild zu tun haben könnte. Es muss hier drinnen einen Hinweis geben, der diesen Ort mit Fiammetta verbindet. Vielleicht das Grab der Maria d’Aquino oder irgendeinen Fingerzeig auf Boccaccio.«
Wir begannen, langsam durch das Kirchenschiff zu schreiten, umkreisten jede Säule, jede Chorbank und blieben vor jeder Gedenktafel und jeder Statue stehen. Nach einem Rundgang sah es so aus, als würde unsere Suche erfolglos verlaufen - das einzige weibliche Wesen hier war die Jungfrau Maria, die einzigen Gräber beherbergten alte neapolitanische Ritter.
»Wir übersehen irgendetwas«, beharrte Bruder Guido mit gedämpfter Stimme. Sein Blick heftete sich auf den Priester, der sich jetzt am Altar zu schaffen machte. »Vielleicht sollten wir ihn einmal fragen...«
»Wartet.« Mein eigener Blick war müßig über ein in eine steinerne Fliese eingemeißeltes Bild hinweggeglitten. »Hier ist eine Frau!«
Wir traten näher, und Bruder Guido kniff die Augen zusammen, um im dämmrigen Kerzenlicht besser sehen zu können. Dann fuhr er mit seinen langen Fingern über den Stein und schüttelte den Kopf. »Nein.« Unüberhörbare Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. »Das ist die heilige Veronika. Hier, seht Ihr? Christus trägt das Kreuz, und sie tupft ihm mit einem Tuch die Stirn ab.«
Er hatte recht. Merklich ernüchtert betrachtete ich die Wand über dem Bild, während sich mein Begleiter abwandte. Plötzlich fiel mir etwas auf. »Was ist denn mit diesen Kratzern dort? Haben sie etwas zu bedeuten?«
»Kratzer?« Bruder Guido drehte sich wieder um.
»Ja, hier, eine Spitze und eine Linie.« Ich strich über die tiefen Einkerbungen in dem Stein: V und I. »Seht Ihr das nicht?«
Im nächsten Moment geschah das, was immer eintrat, wenn Bruder Guido einen Gedankenblitz hatte - seine Augen flammten so hell blau auf, dass sie fast die düstere Kirche erleuchtet hätten. »Das sind keine Kratzer, sondern Zahlen «, stellte er fest.
Nun sagte ich ja bereits, dass ich nicht lesen kann, aber die Zahlen kenne ich, zumindest die von eins bis zehn, danach hapert es ein bisschen. Aber Mädchen, die auf der Straße arbeiten, sollten schließlich imstande sein, ihre Einnahmen zu zählen, nicht wahr? »Das sind doch keine Zahlen«, widersprach ich hitzig. »Gut, die Linie könnte eine Eins sein, aber das andere Gebilde sieht eher aus wie eine Pfeilspitze oder...«
»Römische Zahlen«, unterbrach er mich ungeduldig. »Die Zahlen der römischen Numerologie unterscheiden sich von den arabischen Zahlen, die wir im täglichen Leben benutzen. Die Spitze steht für die Fünf, und die Linie ist in der Tat eine Eins. Zusammen gelesen ergeben sie die Zahl Sechs.«
In meinem Kopf war es so düster wie in der Kirche. »Seid Ihr sicher, dass das eine Sechs ist? Könnte das V nicht für Veronika stehen?«
Sofern dies überhaupt möglich war, leuchteten seine Augen jetzt noch blauer. »Nein, wir haben es hier mit einer Reihenfolge zu tun. Die heilige Veronika tupft Christus die Stirn ab. Sechs. Das ist die sechste Kreuzwegstation.«
»Verstehe.«
»Ihr kennt die
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