Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
verfolgt hatte. »Ich muss wieder arbeiten.«
Bestürzt blickte Alyss zu dem Indianer hoch. Er durfte nicht einfach so aus ihrem Leben verschwinden, wie alle anderen, die sie je lieb gewonnen hatte. Sir Christopher schien ihre Gedanken zu lesen.
»Dein Freund ist jederzeit hier willkommen«, meinte er und blickte von Sassa zu Alyss. »Vielleicht kann er mir bei diesen Besuchen gleichzeitig von seiner Welt erzählen. Ich bin zu alt zum Reisen, würde jedoch gerne mehr von den Kulturen jenseits des großen Ozeans erfahren.«
Alyss strahlte übers ganze Gesicht. »Könnten wir dazu in Euren Garten gehen?«
»Natürlich«, erwiderte Sir Christopher. »Aber wozu?«
»Weil Sassa versprochen hat, mir zu zeigen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht«, erklärte sie und zwinkerte dem Indianer zu.
Den Nachmittag verbrachte Alyss dann zunächst in einerhölzernen Wanne in der Küche. Joan, die nette Haushälterin, hatte Wasser erhitzt und schrubbte das Mädchen mit einer Wurzelbürste von Kopf bis Fuß. Auf dem Markt hatte sie Alyss einen neuen Rock, eine Bluse und ein Mieder besorgt, in welche sie nach dem heißen Bad schlüpfte. Als Alyss später im Gang ihr Spiegelbild sah, kam sie sich fremd vor. Der Junge mit dem strubbeligen Lockenkopf hatte sich wieder in ein Mädchen mit einer Schleife im Haar verwandelt. Nach dem Bad leistete sie Joan in der Küche Gesellschaft. Erst zum Abendessen traf sie sich wieder mit Sir Christopher. Es gab köstliches Kaninchenragout – die erste warme Mahlzeit an einem richtigen Tisch seit Tagen. Danach brachte Joan Alyss auf ihr Zimmer. Es war ein hübsches Eckzimmer im ersten Stock mit zwei Fenstern. Auf der einen Seite konnte man den Fluss sehen, der im Mondlicht wie Quecksilber glitzerte. Das andere Fenster führte auf den Garten hinaus, wo ein Brunnen, mehrere Obstbäume und Gemüsebeete deutlich im Mondschein zu erkennen waren. Alyss gähnte. Das Himmelbett mit dem Baldachin sah einladend aus. Und gleich nachdem sie sich in die weiche, warme Decke gekuschelt hatte, war sie auch schon eingeschlafen.
Mitten in der Nacht lag sie dann plötzlich hellwach im Bett. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Eine leichte Brise wehte durch das offene Fenster und ließ die Rüschen um den Baldachin des Bettes sachte flattern. Das Fenster klapperte. Wieso stand es offen? Als sie ins Bett gegangen war, waren beide Fenster geschlossen gewesen. Doch vielleicht war es nur angelehnt gewesen und der Wind hatte es aufgeweht. Und was lehnte da draußen an der Wand? War das eine Leiter? Gerade erwog sie, ob sie aus dem warmen Bett steigen sollte, um dasFenster zu schließen, als sie einen dunklen Schatten an der Wand daneben bemerkte.
»Gib mir den Salamander!«, zischte eine Stimme. Erst als die Person näher trat, erkannte Alyss, dass es sich um Master Milton handelte. Seine Augen funkelten gespenstisch im Mondlicht. Der Mann war doch nicht abgereist, sondern gerade eben über die Leiter in ihr Zimmer gestiegen.
»Ich hab ihn nicht«, erwiderte Alyss. Hoffentlich hatte er nicht gesehen, wie sie zuvor Jacks Beutel unter das Kopfkissen gestopft hatte.
»Gib ihn mir, oder ...« Er kam nicht mehr dazu, seine Drohung auszusprechen.
Dann geschah alles so schnell, dass Alyss erst später erfasste, was sich genau zugetragen hatte. Etwas Glitzerndes sauste lautlos durch die Luft, und plötzlich schrie Master Milton laut auf. Ein Beil hatte den Ärmel seines Hemds an den Bettpfosten genagelt. Ein weiteres Beil flog durch die Luft und heftete seinen anderen Ärmel an die Wandtäfelung. Danach sah sie im Mondlicht, wie eine Gestalt durchs Fenster kletterte. Erst einen Moment später erkannte sie Sassa. In Lendenschurz und Kriegsbemalung war er hinter Francis Milton die Hausmauer hochgeklettert. Jetzt baute er sich drohend vor dem Mann auf und sah dabei genauso furchterregend aus wie auf der Bühne der Raritätenschau.
Master Milton, der keine Ahnung hatte, woher der wilde Mann so plötzlich aufgetaucht war, meinte, der Teufel sei hinter ihm her. Er flehte den Wilden an, ihm nichts anzutun. Durch den Lärm waren die anderen Hausbewohner aufgewacht. Sir Christopher, nur mit Schlafmütze und Hemd bekleidet, steckte verschlafen seinen Kopf durch die Tür. Hinter ihm tauchte dasbesorgte Gesicht von Joan auf, die sich ein Schultertuch übers bodenlange Nachthemd geschlungen hatte.
»Was geht hier vor sich?«, fragte Sir Christopher, dann sah er seinen Assistenten, der mit den Kriegsbeilen an Bett und Wand
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