Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
seine Sprache wiederfand.
»Ich habe immer noch den Fingerhut«, erklärte er schüchtern. »Die Kinderdiebe haben ihn mir nicht gestohlen.«
Doch Jack hörte nicht, was er sagte.
»Ned!«, rief er. »Ned!« Aber so laut er auch schrie, sein Bruder blieb spurlos verschwunden. Er war nicht an Bord der Magpie . Jack sank auf die Knie und hämmerte mit den Fäusten auf die Planken.
Das Geheimnis des goldenen Salamanders
Sonntag, 15. September 1619
Als Alyss am nächsten Morgen im Zelt der Schausteller aufwachte, tastete sie gleich nach dem Beutel. Der Salamander hing immer noch um ihren Hals. Verschlafen blickte sie sich im Zelt nach den Schaustellern um, doch ihre drei Freunde waren nirgendwo zu sehen. Die Kisten und Truhen mit den Requisiten, Aurelias Flügel, die Raubkatze, die Messer im Korb und Sassas Bogen waren ihr inzwischen vertraut. Auch wenn Onkel Humphrey vermutlich immer noch im Weißen Hirschen logierte, fühlte sie sich hier vor ihm sicher. Selbst vor Master Tubney brauchte sie sich nicht mehr zu verstecken. Aurelia hatte noch mitten in der Nacht mit ihm gesprochen und die Situation erklärt. Er hatte großzügig erlaubt, dass Alyss einstweilen in seinem Zelt unterschlüpfen durfte. Wohlig streckte sie sich auf dem Stroh aus. Im schmalen Lichtstrahl, der durch die Klappe schien, tanzten winzige Staubpartikel. Nach den Tagen der Dunkelheit im Keller und im Segelschiff war es wunderbar, endlich wieder Tageslicht zusehen. Bestimmt würde sich jetzt doch alles zum Besten wenden. Egal, was die Wahrsagerin in ihrer Hand gelesen hatte.
Wie es Jack heute Morgen wohl erging? Sie hatten sich nach dem Chaos der vergangenen Nacht gar nicht voneinander verabschiedet. Ob er seinen Bruder doch noch gefunden hatte? Ohne ihn und Sassa würden sie und die anderen Kinder jetzt bereits Richtung Neue Welt segeln. Klar, hätte der Junge sie nicht bestohlen, wäre ihr viel erspart geblieben. Aber dann hätte sie weder ihn noch Sassa, Hector und Aurelia kennengelernt, und Onkel Humphrey und sein Häscher hätten sie ohnehin irgendwann erwischt und den Kinderdieben ausgeliefert. Stattdessen hatte sie nun neue Freunde gewonnen, und das war alle Strapazen wert gewesen.
»Guten Morgen.« Aurelia kam durch die Klappe ins Zelt geschlüpft. »Hungrig?« Sie schleppte einen Laib Brot, der fast so groß wie sie selber war.
Alyss setzte sich auf. »Guten Morgen«, begrüßte sie die Fee. »Wo sind Sassa und Hector?«
»Die sind schon früh losgezogen, um herauszufinden, ob dieser Sir Christopher endlich von seiner Reise zurückgekehrt ist.« Sie legte das frische Brot auf ein Holzbrett und begann mit einem Messer dicke Scheiben abzusäbeln.
Gleich nach dem Frühstück holte Aurelia eine Schüssel mit Wasser, damit sich Alyss den Schmutz von Gesicht und Händen waschen konnte. Danach kniete sich die Fee auf die Kiste neben der ausgestopften Raubkatze und kämmte Alyss’ kurze Locken.
»Das ist schon viel besser.« Sie musterte das Mädchen kritisch. »Ich würde dir ja gerne ein sauberes Kleid leihen, doch meine Sachen passen dir bestimmt nicht.«
»Trotzdem vielen Dank.« Alyss lächelte die winzige Frau an, als vom Zelteingang Stimmen erklangen. Sassa und Hector waren von ihrem morgendlichen Ausflug zurückgekehrt.
»Der Herr ist seit gestern wieder zu Hause«, verkündete Sassa, nachdem er Alyss begrüßt hatte. »Und er möchte dich sehr gern sehen.« Ohne Kriegsbemalung und in Hosen, Hemd und Weste sah der Indianer wieder wie ein braun gebrannter Seefahrer aus.
»Und sein Assistent?« Alyss wollte auf keinen Fall riskieren, erneut bei den Ratten zu landen.
»Denkst du, ich lass dich allein ins Haus?«, erwiderte Sassa ernst. »Auf keinen Fall. Ich komm mit und pass auf dich auf wie ’n Luchs.«
Schon eine halbe Stunde später standen der Indianer und Alyss dann vor dem grauen Steinbau auf der anderen Seite der Themse. Sie blickte zu Sassa, der ihr ermunternd zunickte. Alyss war so froh, dass er darauf bestanden hatte, sie zu begleiten. Das Messer, das er heute an seinem Gürtel trug, vermittelte ihr obendrein ein Gefühl der Sicherheit. Beherzt griff sie nach dem schweren Klopfer und ließ ihn auf die Tür fallen. Der dumpfe Klang hallte im Haus wider. Dann hörte man Schritte. Einen Augenblick später wurde die Tür von der netten molligen Haushälterin, in strahlend weißer Schürze und Haube, geöffnet. Wie das letzte Mal war sie überaus gesprächig.
»Wie schön, dich gesund wiederzusehen.« Ein Lächeln
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