Das Geheimnis Des Kalligraphen
beiden Geburten, die gleichzeitig eingesetzt hatten, verschlechterten ihre Laune. Und außerdem hasste sie es, im Gnadenhof zu arbeiten.
Olgas Mann Viktor, der Gärtner der Familie Farah, hatte der Hebamme dagegen bei jedem Besuch eine Tasche voller Gemüse und Obst geschenkt. Alles wuchs und gedieh im großen Garten der reichen Farahs. Aber die Herrschaften waren vernarrt in Fleisch und nahmen Süßigkeiten, Gemüse und Obst nur aus Höflichkeit den Gästen gegenüber zu sich.
Es wurde gemunkelt, dass der sonnengebräunte, drahtige Gärtner ein Verhältnis mit der früh verwitweten Hebamme habe. Man sah ihm seine sechzig Jahre nicht an, seine Frau Olga dagegen war durchMüdigkeit um Jahre gealtert und suchte abends das Bett nur zum Schlafen auf. Im Garten gab es einen kleinen Pavillon für exotische Pflanzen, von dem eine direkte Tür zur Straße führte, und dort empfing der Gärtner seine vielen Geliebten. Angeblich verabreichte er ihnen die Frucht einer brasilianischen Pflanze, die sie wild machte. Die Hebamme aber liebte den Gärtner, weil er der einzige war, der sie zum Lachen bringen konnte.
An jenem kalten Morgen, als sie merkte, dass es bei der jungen Frau noch länger dauern würde, verließ sie die kleine Wohnung wieder, um zu den Farahs zu gehen. Am Tor des Gnadenhofs versuchte Nachbarin Faise sie aufzuhalten. »Mariam hat sieben Leben wie die Katzen und stirbt nicht so leicht«, sagte die Hebamme, als wollte sie ihre Gewissensbisse beruhigen, denn die Frau auf der Matratze sah elend aus wie alles, was sie umgab.
Faise ließ die Hebamme los, band ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz und folgte ihr mit den Augen, bis diese nach rechts in Richtung Buloskapelle einbog. Das erste Haus rechts war das der Farahs.
Der Morgen graute schon, aber die staubigen Straßenlaternen der Abbaragasse leuchteten noch. Faise atmete die frische Brise ein und ging zu ihrer Freundin Mariam zurück.
Die Geburt war schwer.
Als die Hebamme gegen acht Uhr vorbeischaute, war Salman bereits in alte Tücher gewickelt. Die Hebamme lallte und roch stark nach Schnaps. Sie berichtete fröhlich vom neugeborenen, hübschen Baby der Farahs, einem Mädchen, warf einen Blick auf Salman und seine Mutter und krächzte Faise ins Ohr: »Katzen sterben nicht so leicht.« Und dann torkelte sie davon.
Am nächsten Tag bekamen alle Bewohner der Abbaragasse eine kleine Porzellanschale mit rosa gefärbten Zuckermandeln. Und von Mund zu Mund wanderten kurze Gebete und Glückwünsche für die neugeborene Tochter der Familie Farah: Viktoria. Der Name soll übrigens ein Vorschlag der Hebamme gewesen sein, nachdem sich das Ehepaar nicht einigen konnte. Auch Jahre später nannte man das Mädchen noch »Viktoria Zuckermandel«. Zur Geburt ihrer BrüderGeorg und Edward verteilte der Vater keine Mandeln mehr. Angeblich, weil man in der Gasse über ein Verhältnis seiner Frau mit seinem jüngsten Bruder gelästert hatte. Den bösen Zungen war der Umstand Anlass, dass beide Jungen dem Onkel, einem verwegenen Goldschmied, bereits bei der Geburt sehr ähnelten und genau wie dieser schielten.
Das aber geschah später.
Als Salman zur Welt kam, starb seine Mutter nicht, aber sie wurde krank, und als sie sich nach Wochen vom Fieber erholte, fürchtete man, dass sie ihren Verstand verloren hatte. Sie jaulte wie eine Hündin, lachte und weinte in einem fort. Nur wenn ihr Kind in ihrer Nähe war, wurde sie ruhig und sanft und hörte auf zu wimmern. »Salman, Salman, er ist Salman«, rief sie und meinte damit, der Junge sei gesund, und bald nannten alle das Baby Salman.
Der Vater, ein armer Schlossergeselle, hasste Salman und beschuldigte ihn, seine Mariam durch die ungesegnete Geburt in den Wahn getrieben zu haben. Und irgendwann begann er zu trinken. Der billige Arrak machte ihn böse, anders als Faises Mann Kamil, den Polizisten, der jede Nacht mit grässlicher Stimme, aber vergnügt sang, wenn er betrunken war. Er behauptete, mit jedem Glas Arrak verliere er ein Kilo Schüchternheit, so dass er sich nach einigen Gläsern leicht und unbekümmert wie eine Nachtigall fühle.
Seine Frau Faise freute sich über seinen Gesang, der zwar falsch, aber von feuriger Leidenschaft getragen war, und manchmal sang sie sogar mit. Salman fand es immer sonderbar, das Duo singen zu hören. Es war so, als ob Engel Schweine hüten und mit ihnen gemeinsam singen würden.
Auch der jüdische Gemüsehändler Schimon trank viel. Er sagte, er sei eigentlich kein
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