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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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hin.
    »Wo bin ich gelandet? Ich wollte doch ... «, unternahm sie erneut einen Versuch, doch auch dieser Gedanke erstarb auf ihrer Zunge. In der Ferne rollte der Donner seine schweren Steine über ein Blechdach. Ein flüchtiger Sonnenstrahl suchte seinen Weg durch einen Spalt zwischen den Häusern, gerade bevor die Sonne unterging. Doch als würde ihm das Elend keinen Platz lassen, verschwand er sofort wieder.
    Seine Mutter umarmte ihre Knie, legte den Kopf darauf und lächelte ihn an. »Ich bin doch dumm, nicht wahr? Ich sollte mit dir lachen, dir die Angst ... stattdessen weine ich ... «
    Draußen stürmte der Wind und schlug eine lose Dachrinne gegen die Mauer. Und dann begann es auch noch zu regnen.
    Er wollte sie fragen, ob er ihr irgendwie helfen könne, aber sie weinte schon wieder, nachdem sie kurz die Hand ausgestreckt und ihm über die Haare gestreichelt hatte.
    Auf einer Matratze, die nach ranzigem Öl roch, war er bald eingeschlafen. Als er aufwachte, war es vollkommen dunkel und draußen regnete es heftig. »Mama«, flüsterte er ängstlich, da er dachte, sie sitze weit von ihm entfernt.
    »Ich bin da, hab keine Angst«, flüsterte sie unter Tränen.
    Er setzte sich auf, legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Mit leiser Stimme sang er ihr die Lieder vor, die er von ihr gehört hatte.
    Er hatte Hunger, wagte aber nichts zu sagen, weil er Sorge hatte, dass sie vollends verzweifeln würde. Sein Leben lang vergaß Salman diesen Hunger nicht, und immer wenn er etwas als »gewaltig lang« bezeichnen wollte, sagte er: »Das ist länger als ein Hungertag.«
    »Morgen putze ich das Fenster«, sagte die Mutter auf einmal und lachte. Er verstand nicht.
    »Gibt es hier keine Kerze?«, fragte er.
    »Ja, daran müssen wir auch denken, also ... «, sagte sie, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen. »Hast du ein gutes Gedächtnis?«
    Er nickte in der Dunkelheit, und als hätte sie es gesehen, fuhr sie fort: »Dann spielen wir: ›Morgen bringen wir alte Lappen‹.«
    Er war dran. »Wir bringen alte Lappen und zwei Kerzen.«
    »Wir bringen Lappen, Kerzen und eine Streichholzschachtel«, fügte sie hinzu. Und als er spät in der Nacht in ihren Armen lag und vor Müdigkeit die Augen nicht mehr offenhalten konnte, lachte sie und rief: »Und wenn wir all das mitbringen wollten, bräuchten wir einen Lastwagen.«
    Der Regen klopfte gleichmäßig an die Fensterscheiben, und Salman drückte sich fest an seine Mutter. Sie roch nach Zwiebeln. Sie hatte dem Vater an jenem Tag Zwiebelsuppe gekocht.
    So tief hatte er seit langem nicht geschlafen.
     
    3.
     
    N uras Mutter, die ihren Mann bisweilen wie einen unsicheren, tollpatschigen Jungen behandelte, zitterte vor ihm, wenn es um Nura ging. Sie schien dann mehr Angst vor ihrem Mann zu haben als ihre kleine Tochter. Nichts entschied sie ohne den Zusatz, »aber erst, wenn dein Vater zustimmt«. Würde der Vater nicht eingeweiht, ginge alles schief.
    So auch an jenem Tag, an dem Nura zum letzten Mal Onkel Farid, den Halbbruder ihrer Mutter, begleitete. Er war ein schöner Mann. Erst Jahre später sollte Nura erfahren, dass Onkel Farid in jenen Tagen bereits bettelarm war, was man ihm aber nicht ansah. Die drei Textilgeschäfte, die ihm sein Vater überlassen hatte, waren innerhalb kurzer Zeit Bankrott gegangen. Farid gab dem Vater die Schuld, der sich dauernd einmische und mit seinen altmodischen Ideen jeden Erfolg verhindere.
    Sein Vater, der große Mahaini, enterbte ihn daraufhin. Aber nicht einmal das konnte dem Lebemann die Laune verderben.
    Da er in den besten Schulen gelernt hatte, eine begnadete Sprache und eine schöne Schrift beherrschte, übte er den seltsamen Beruf des Ardhalgi , des Antragsschreibers, aus. Im Damaskus der fünfzigerJahre konnten mehr als die Hälfte der Erwachsenen weder lesen noch schreiben. Der moderne Staat aber bestand auf geordneten Verhältnissen und deshalb verlangten seine Bürokraten jede auch noch so geringe Anfrage in schriftlicher Form. Diesen schriftlichen Antrag konnten sie dann verbindlich bearbeiten und mit einer Menge Staatsmarken und Stempeln versehen dem Bürger zurückgeben. Damit hoffte der Staat, so etwas wie Ansehen bei der Bevölkerung hervorzurufen, deren beduinische Wurzeln sie immer zu Anarchie und Respektlosigkeit gegenüber allen Gesetzen verführten.
    Die Anträge, Petitionen und Gesuche wucherten derart, dass man in Damaskus darüber witzelte: »Wenn dein Nachbar ein Beamter ist, solltest du ihn nicht grüßen, sondern

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