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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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nach Salmans Geburt, aber sein Vater trank trotzdem immer weiter. Die Frauen aus der Umgebung wagten nicht, ihm nahe zu kommen. Weil der Vater stark wie ein Stier war, konnten nur Männer ihn beruhigen.In der Zwischenzeit versuchte Salman Mutters Kopf mit seinem Leib zu schützen. Vergebens. Wenn sein Vater in Rage war, schleuderte er seinen Sohn in die Ecke und schlug wie besinnungslos auf die Mutter ein.
    Seit Salman die heilige Maria anflehte, kam immer gleich jemand gelaufen. Das hatte aber damit zu tun, dass Salman aus Leibeskräften schrie, wenn der Vater auch nur den Arm hob. Sarah erzählte, dass es bei ihnen wegen des Geschreis einen Kurzschluss gegeben habe.
    Die Mutter war Salman für sein Gebrüll dankbar, denn sobald ihr betrunkener Ehemann durch das Tor schwankte, flüsterte sie: »Sing, mein Vogel, sing«, und Salman begann so zu schreien, dass der Vater sich manchmal nicht in die Wohnung traute. Salman erinnerte sich noch Jahre später daran, wie glücklich seine Mutter war, einmal einen Tag ohne Schläge zu verbringen. Sie schaute Salman dann mit fröhlichen, runden Augen an, küsste und streichelte ihm das Gesicht und legte sich in ihrer Ecke auf der schäbigen Matratze schlafen.
    Manchmal hörte Salman seinen Vater in der Nacht kommen und die Mutter in das andere Zimmer tragen, als wäre sie ein kleines Mädchen, und dann hörte er, wie sich sein Vater bei seiner Mutter für seine Dummheiten entschuldigte und verlegen lachte. Seine Mutter jaulte dann leise und fröhlich wie eine zufriedene Hündin.
    Seit Salman denken konnte, durchlebten er und seine Mutter fast täglich diese Wechselbäder, bis zu jenem Sonntag im Frühjahr, an dem sich der Vater nach dem Kirchgang im Weinlokal an der nächsten Ecke betrank und bereits am frühen Nachmittag auf die Mutter eindrosch. Nachbar Schimon kam zu Hilfe, beruhigte den Vater und brachte ihn schließlich ins Bett.
    Schimon trat leise in das kleinere Zimmer und lehnte sich erschöpft an die Wand. »Weißt du, dass das Haus des verstorbenen Webers nahe der Buloskapelle seit einem halben Jahr leersteht?«, fragte er. Die Mutter wusste es wie alle Nachbarinnen auch.
    »Natürlich«, stammelte sie.
    »Worauf wartest du noch?«, fragte der Gemüsehändler und ging, noch bevor er die Fragen hören musste, die Salmans Mutter auf dem Herzen hatte.
    »Lass uns gehen, bevor er zu sich kommt«, drängte Salman, ohne zu wissen, wohin.
    Die Mutter schaute um sich, stand auf, ging im Zimmer hin und her, warf einen sorgenvollen Blick auf Salman und sagte mit Tränen in den Augen: »Komm, wir gehen.«
    Draußen fegte ein eiskalter Wind über den Gnadenhof, und dunkelgraue Wolken hingen tief über der Stadt. Die Mutter zog Salman zwei Pullover übereinander an und warf sich einen alten Mantel über die Schultern. Die Nachbarn Marun und Barakat reparierten gerade eine Dachrinne. Sie schauten ihr kurz nach, ohne etwas zu ahnen, aber Samira, die am anderen Ende des Hofes wohnte und an diesem Tag mit Kochen, Waschen und Radiohören beschäftigt war, hatte eine Ahnung.
    »Meine Schulhefte«, rief Salman besorgt, als sie das Tor erreichten. Die Mutter schien nicht zu hören, stumm zog sie ihn an der Hand mit sich davon.
    Die Gasse war fast leer an diesem kalten Nachmittag, so dass sie das kleine Haus schnell erreichten. Die Mutter drückte die angelehnte Tür auf. Dunkelheit und modrige, feuchte Luft strömten ihnen entgegen.
    Er spürte die Angst seiner Mutter, da ihr fester Griff seine Hand schmerzte. Ein merkwürdiges Haus war das. Die Tür führte über einen langen, dunklen Korridor zu einem winzigen Innenhof unter freiem Himmel. Im Erdgeschoss waren die Räume zerstört. Fenster und Türen waren herausgerissen.
    Eine dunkle Treppe führte in den ersten Stock, der einem Weber bis zu seinem Tod als Wohnung gedient hatte.
    Vorsichtig folgte Salman seiner Mutter.
    Das Zimmer war groß, aber schäbig, überall lagen Unrat und zerschlagene Möbelstücke, Zeitungen und Essensreste.
    Sie setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Wand unter dem Fenster, das durch eine Rußschicht, durch Staub und Spinnweben blind geworden war und nur schwaches, graues Licht hereinließ. Sie begann zu weinen. Sie weinte und weinte, so dass der Raum noch feuchter zu werden schien.
    »Als Mädchen habe ich immer geträumt ... «, begann sie, aber alshätte die Enttäuschung in diesem heruntergekommenen Raum auch noch das letzte Wort in ihrem Mund ertränkt, schwieg sie und weinte stumm vor sich

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