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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Flacke
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herausgestanzt war. Lichtschwaden fielen auf brodelnde Glaskolben, weiß schimmernde Schälchen und Tontöpfe, in denen Wildkräuter, Kristalle und wundersame Wurzeln aufbewahrt waren. Sträuße von getrockneten Wildblumen hingen gebündelt von der Decke. Der Duft von Lavendel, Wacholder und Rosmarin zog verführerisch durch Schlüsselloch und Türritzen. Der Fremde kratzte sich vorsichtig an seiner Samthose. Das leise Scheuern klang wie ein ungeduldiges Aufbegehren. Seine Füße steckten in vornehmen, breitmäuligen Stiefeln aus feinstem Leder, die aber die dünnen Beine mit ihren Seidenstrümpfen kaum verbergen konnten. Mit einer Hand stützte er sich auf einen seltsam geschnitzten Malakka-Stock mit Silberknauf.
    Endlich löste sich Nostradamus aus seiner nachdenklichen Haltung. Als wäre es ein Zeichen des Einverständnisses, griff er nach drei Keramiktöpfen. Sie waren wachsdicht verschlossen, um den Inhalt vor Sonnenlicht und Luft zu schützen.
    »Ihr könnt schon bald zurück sein«, raunte der Fremde ihm verschwörerisch zu. »Für morgen früh zur sechsten Stunde ist die Kutsche bestellt. Sie steht nur für Euch bereit.«
    In diesem Moment öffnete sich im Flur langsam die Straßentür. Das derbe Quietschen tastete sich durch den Hausflur. Marie schreckte hoch und wich ein paar Schritte zurück, während ein Schatten auf sie zukam.
    »Ich suche den großen Arzt Nostradamus«, sagte jemand mit warmer, freundlicher Stimme. Sie klang merkwürdig vertraut, als wäre sie ihr schon einmal in fernen Träumen begegnet. »Wo kann ich ihn finden?«
    Jetzt konnte Marie das Gesicht des jungen Mannes erahnen. Es kam wie ein blasser Schein näher und näher. Marie stutzte. Hatte er nicht Ähnlichkeit mit dieser Marmorstatue direkt vor dem königlichen Schloss? Die Nase war gerade gewachsen, das Kinn stolz hoch gestreckt. Die Wangenknochen formten sich ausdrucksstark in seinem jungen Gesicht. Aber er trug ein fleckiges Wams, das längst nicht mehr der Mode entsprach. Seine braunen Haare standen wirr vom Kopf ab, die Bartstoppeln hätten längst der Pflege eines Barbiers bedurft.
    »Ihr seid nicht von hier, nicht wahr?«, fragte Marie zaghaft, während sie versuchte seinem neugierigen Blick standzuhalten.
    Er lächelte und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Kleine Hautfetzen hingen an seinen eingerissenen, bleichen Lippen. »Stimmt. Ich bin mit den Flüchtlingen gekommen. Geradewegs aus der Hölle. Mein Name ist Manuel. Manuel Boisset.« Er sah sie verschmitzt an und verbeugte sich tief, während er ausladend seine Mütze schwenkte. Marie errötete. Der Geruch von frischen Pfefferminzblättchen, auf denen er mit seinen weißen Zähnen herumkaute, zog ihr in die Nase.
    »Ich will zu diesem Wundermann Nostradamus«, fuhr er fort, »der von aller Welt bejubelt wird. Irgendetwas liegt mir nämlich verflucht schwer im Magen, dass es bis hinunter in die Gedärme zieht. Wahrscheinlich war das Fleisch verdorben, das wir heißhungrig in uns hineingestopft haben.«
    »Marie?«, hörte sie da die Stimme der Arztfrau aus der Etage über ihr. »Bist du da unten? Ich brauche dich!«
    »Ja, ich komme schon!«, rief sie zurück und flüsterte Manuel Boisset leise zu: »Michel Nostradamus ist dort drüben im Labor. Ich weiß aber nicht, ob er heute noch Zeit für Kranke hat. Er scheint im Aufbruch begriffen zu sein.«
    »Im Aufbruch…?«, fragte Manuel neugierig. Überrascht zog er eine Augenbraue hoch.
    »Ja, aber ich muss jetzt los…« Marie huschte zum blank gewienerten Treppenabsatz. Die ledernen Schnürschuhe, die der Arzt ihr wegen des Unrats auf den Straßen geschenkt hatte, rutschten über die glatten Stufen.
    »Du arbeitest hier?« Manuel trat ans Treppengeländer und sah zu ihr hoch, während Marie auf einer der Holzstufen innehielt und verlegen das kurze Leinenkleidchen an ihre Oberschenkel drückte.
    »Ja, bis zum Abend«, sagte sie leise. Ein paar Atemzüge lang sahen sich die beiden an. Ihre Blicke fanden sich trotz des fahlen Dämmerlichtes, als hätten sie etwas von sich in dem anderen wiederentdeckt. Marie schluckte. War es der betörende Lavendelduft, der ihren Puls in die Höhe jagen ließ? Übereilig holperte sie die Eichenstufen hoch und zog die Zimmertür hinter sich ins Schloss. Jetzt war es still, nur das leise Kichern eines kleinen Mädchens war zu hören.
    »Bis heute Abend«, lächelte Manuel verstohlen. Seine Schritte knirschten leise auf dem Steinfußboden, als er auf das Labor

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