Das Geheimnis des Nostradamus
Lande sein«, meinte das Bauernweib. »Er hat die seltensten Kunstschätze gekauft!«
»Nicht nur das!«, fuhr ein Handlungsreisender dazwischen und lachte derb. »Er kauft ja auch die Mätressen für den König!«
»… nachdem er sie vorher selber ausprobiert hat!«, platzte eine alte Jungfer heraus. Ihre schrillen Lacher hüpften durch die Luft. Dann verzog sie das Gesicht und hüstelte angewidert in ihr Schnupftuch.
Jean von Lothringen, der Bischof von Agen!, fuhr es Marie durch den Kopf. Erst vor zwei Monaten war Nostradamus dringend zu ihm ins Schloss gerufen worden. Sie hatte das Astrolabium für ein anstehendes Horoskop tragen müssen, während Nostradamus mit Ledertaschen beladen gewesen war, in die er Heilsalben und Tinkturen verstaut hatte. Allerdings hatte sie in ihrem ärmlichen Kleidchen vor dem Gemäuer warten müssen.
Das Schloss von Agen war nicht sehr groß, aber reich mit Kostbarkeiten ausgestattet. Durch die hohen Fenster des Bankettsaales konnte oft heimlich beobachtet werden, wie in goldenen Kandelabern Hunderte von Wachskerzen flackerten. Freskenmalereien glänzten an den gewölbten Decken in schönsten Farben. Mit Goldfäden durchzogene, seidige Gobelins schimmerten an den Wänden, Marmorskulpturen glänzten im warmen Licht der Kerzen.
Ob eins dieser Ölbilder mit den riesigen Goldrahmen beim Verkauf so viel Sous einbringen würde, dass ihre Familie einige Jahre davon leben könnte?, hatte Marie oft überlegt.
»Jeden Tag füllt der Kardinal seine Börse mit drei- bis vierhundert Sous«, unterbrach ein schiefmäuliges Weib Maries Gedanken. Ein sehnsüchtiges Aufseufzen ging durch die Menge, die auf die Kutsche des Bischofs wartete.
»Aber er gibt auch den Armen«, krächzte ein Buckliger. »Er gibt ohne nachzuzählen. Es heißt, in Rom bat ihn einmal ein armer Blinder um Almosen und er bekam eine Hand voll Gold.«
»Eine ganze Hand voll Gold!« Die Schiefmäulige starrte sehnsüchtig in ihre leeren Handflächen, die sie wie Schöpfkellen von sich streckte. Sabber tropfte ihr von den Lippen.
Der Bucklige schien sein dünnes Stimmchen mit letzter Kraft aus der Kehle zu pressen, um das Raunen der Umstehenden zu übertönen. »Und der Blinde rief aus: ›Ihr müsst Christus sein oder der Bischof von Lothringen!‹«
In diesem Moment ratterte die Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster näher. Die beiden schweißnassen Rappen tänzelten und wieherten auf, als sich immer mehr Volk dicht an den Bürgersteig drängelte. Stinkende Bettler, breithüftige Marktweiber und zerlumpte Flüchtlinge schwenkten die Hüte, streckten bettelnd ihre Hände aus und kreischten und johlten: »Nur eine Hand voll Gold! Eine Hand voll Gold!«
Der Kutscher hob ruckartig den Arm, knallte mit der Peitsche und trieb die schweißnassen Pferde an. Das schwarze Lederband schnalzte zurück wie ein dürrer, sich aufbäumender Schlangenleib. Ein dunkler Vorhang war vor das Fenster der Kutsche gezogen. Jetzt schob eine hellhäutige Hand mit großklotzigen Ringen den Samt zur Seite. Für den Bruchteil eines Augenblicks war ein junges Weib zu sehen. Der Ausschnitt lag frei und ließ den blassen Busen unter der halbdurchsichtigen Seide erahnen. Die rötlichen Haare der Frau waren geflochten und zu einem üppigen Kranz geflochten. Darauf steckte eine perlenbestickte Haube. Der Haaransatz war hoch ausrasiert, so wie es in Italien Mode war. Da fiel auch schon der schwarze Vorhang zurück. Die Speichen der Räder knirschten. An der Kutsche blitzte das Wappen Lothringens auf: drei silberfarbene Adlerschwingen, karmesinrot gegen eine Fläche aus reinstem Gold abgesetzt, und die silbernen Kreuze Jerusalems. Jetzt flog ein Schwarm Krähen aufgeschreckt hoch. Ihre Flügel klatschten zusammen, als würden nasse Lappen ausgeschlagen.
Langsam verlor sich das Hufgeklapper in der Ferne. Die Menschen ließen enttäuscht die leeren Hände sinken und wankten oder schlurften zurück in ihre Behausungen oder ins nahe Kloster zur Armenspeisung.
Allmählich wurde der Himmel von einer tiefblauen Dämmerung überzogen. Die Luft war von einem säuerlichen Geruch voll gesogen. Plötzlich legte sich sacht eine Hand auf Maries Schulter. Es war Manuel Boisset. Sein dunkles Haar war jetzt straff nach hinten gekämmt, das Gesicht vom Barbier frisch rasiert. Auf den gesprungenen Lippen glänzte eine ölige Salbe. Trotzdem waren sie blass, als hätte ihm eine Krankheit sehr zugesetzt.
»Darf ich dich zu deiner Wohnung begleiten?« Er verbeugte sich mit
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