Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Urgrund liegt im Nebel.
Wir werden uns damit abfinden müssen, die Dinge rein wissenschaftlich zu erklären, auch wenn das oft unbefriedigend ist. Selbst wenn wir irgendwann den Urknall erklären können, wissen wir immer noch nicht, warum überhaupt irgendetwas existiert. Was soll der ganze Protz? Hätte nicht eine Galaxie gereicht? Warum gleich so auf dicke Hose machen?
Was wissen wir? Mir scheint die Evolutionstheorie zwar insgesamt schlüssig, sie lässt aber viele Fragen offen. Nehmen wir als Beispiel das Ohr. Im Ohr fällt der Schall auf den Hammer, der wiederum auf einen Amboss klopft. Wie aber konnte sich so etwas Komplexes wie der Hammer entwickeln und wie der Amboss, wenn beides erst im Zusammenspiel einen funktionalen Vorteil verspricht, also das Hören ermöglicht? Gibt es doch eine Art Bauplan inder Schöpfung? Und wenn ja, warum hat sich Gott nicht für einen kleinen Mann im Ohr entschieden, der den Schall aufnimmt, digitalisiert, konvertiert und für lau ins Internet stellt? Man weiß es nicht. Man steckt nicht drin.
Nicht die Schöpfung ist albern, sondern die Fragen, die wir an sie stellen: „Wenn Gott gut ist, warum ist das Böse in der Welt?“ Was für eine dumme Frage! Wer hat überhaupt die Idee gehabt, Gott könnte so etwas sein wie „gut“? Als wenn sich der Schöpfer des Universums an den moralischen Gepflogenheiten einer gehobenen Säugetierart auf dem Planeten Erde orientieren müsste! Gott ist weder gut noch böse. Er ist da. Oder auch nicht. Oder kurz weg. Das ist eine Dreifaltigkeit, die ich nachvollziehen kann.
Ist der neue Tag nun wirklich schon wieder vier Minuten alt? Vor 256 Sekunden habe ich zum ersten Mal an diesem Tag geblinzelt. Seitdem blitzen elektrische Impulse durch meine Nervenknoten und erzeugen so die Simulation eines Denkprozesses, den man aus purer Ratlosigkeit „Wachheit“ nennt. Die Digitalanzeige meines Radioweckers zeigt Sternzeit 07:34 Uhr. Mitten in der Nacht!
Aufwachen ist eine der schwierigsten Aufgaben des Tages. Man schlüpft von einem Bewusstseinszustand in den nächsten, durchsteigt dabei luzide Zwischenlevel, gelangt zur bewussten Erfahrung des eigenen Seins in physischer Ausdehnung und stellt am Ende fest, dass das Wichtigste ist, möglichst schnell ein Klo zu erreichen. Der Tag gleicht so dem Leben an sich. Das Leben gleicht dem Tag. Das ist die Selbstähnlichkeit der Natur, die der große Meister der Chaostheorie Benoît Mandelbrot gemeint haben muss, als er begann, sich mit den Fraktalen zu beschäftigen, nach Aufstehen, Klo und Frühstück vermutlich.
HEIZUNG
Heizkörper sind nicht schön, aber unverzichtbar, will man in kalten, zentraleuropäischen Wintern nicht mit Raureif auf den Fußsohlen aufwachen. Der Volksmund sagt: „Füße warm, Doktor arm“. In Zeiten regulierter, staatlicher Gesundheitssysteme braucht man dafür zwar keine warmen Füße mehr, da viele Ärzte, die einen hohen Bestand an Kassenpatienten aufweisen, unabhängig von der Flossentemperatur pleitegehen. Trotzdem ist es schöner, wenn es drinnen muckelig ist. Auf die Klimaerwärmung zu warten erfordert für viele Menschen einfach zu viel Geduld.
07 35
Das Aufstehen ähnelt immer wieder einer Geburt, der Vertreibung aus dem Kokon, aus der nährenden Gebärmutter, die damals ebenso wenig Luft enthielt wie heute der verquollene Raum unter meiner dicken, dicken Daunendecke. Dann der erste Atemzug. Verdammt, da ist Licht! Es ist gleißend. Ein Bauarbeiter schlägt mit einer Ramme auf die Erde ein, als wollte er meinen ersten Atemzug einleiten.
Natürlich weiß ich, dass ich nicht das Ziel seiner Bestrebungen bin. Soll die Straße stabil sein, muss der Untergrund verdichtet werden. Ein wichtiges Werk. Aber kann es nicht verrichtet werden, wenn ich in Urlaub bin? Oder tot? Der Arbeiter poltert, als wolle er die Erde als Ganzes verdichten oder aus der Bahn werfen, padumm, padumm, padumm … Verdichtung ist wichtig. Alles sollte sich verdichten! Aufwachen ist im Grunde auch nichts anderes als ein Verdichtungsprozess.
Wenn das Leben als solches endlich ist, muss man sich beeilen, es zu füllen! Zu verdichten! Einer geht noch, einer geht noch rein! Padumm! Und noch einer! Padumm! Padumm!
Bauarbeiten! Es gibt kein Sein, alles ist Werden! Aber warum muss man damit vor meiner Haustür anfangen? Tradition. Die Straße wird aufgerissen, weil sie vorher verschlossen wurde, nicht mit einer dicken Schicht Asphalt, aber immerhin mit ein paar schwarzen Placken, die das Patchwork
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