Wie angelt man sich einen Earl
1. KAPITEL
Zu beschließen, sich einen reichen Mann zu angeln, um dem drohenden Ruin zu entgehen, war eine Sache. Diesen verwegenen Plan in die Tat umzusetzen, etwas ganz anderes.
Zweifelnd sah sich Angel Tilson im beindruckend prunkvollen Ballsaal um. Was war ihr Problem? Hier im Palast von Santina schwamm sie in einem wahren Meer von Reichtum und Titeln. Sie konnte ihn förmlich riechen, den exklusiven Duft von Geld, Erfolg und Vornehmheit. Das malerische Inselkönigreich drohte unter dem Ansturm von Scheichen, Maharadschas, Prinzen und anderen Vertretern des europäischen Hochadels zu bersten. Ihre jahrhundertealten Titel trugen diese Menschen ebenso lässig wie die schillernde Abendgarderobe und den kostbaren Schmuck.
Eigentlich müsste Angel von dem überreichen Angebot begeistert sein.
Sie war aus London zur Verlobungsfeier ihrer Stiefschwester mit dem Kronprinzen gekommen. Natürlich gönnte sie Allegra und Alessandro ihr Liebesglück von Herzen. Die Blitzromanze zwischen den beiden hatte sie zwar überrascht, aber auch ihre Fantasie beflügelt.
Und wenn die reizende, sensible Allegra es fertiggebracht hatte, sich einen echten Prinzen zu angeln, standen ihre eigenen Chancen auf einen reichen Ehemann vielleicht auch gar nicht so schlecht. Adelig müsste er nicht einmal sein, entschied Angel großzügig und inspizierte möglichst unauffällig die männlichen Gäste in ihrem direkten Umfeld. Das Wichtigste war ein schönes, dickes Bankkonto.
Wie gern hätte sie die ganze Aktion als Spiel angesehen, doch leider war es bitterer Ernst. Trotz ihrer inneren Anspannung zwang sie sich zu einem Lächeln und atmete ein paarmal tief ein und aus. Eine gefurchte Stirn und ein verzweifelter Blick waren unter Garantie nicht dazu angetan, potenzielle Heiratskandidaten anzulocken.
‚Du kannst ebenso gut lächeln wie die Stirn runzeln, Sweetheart.‘ Unterstrichen hatte Chantelle ihre geflügelten Worte immer mit einem gezierten Lächeln oder rauem Gelächter, je nach Stimmungslage und Tageszeit. ‚Wenn überhaupt heiraten, warum dann nicht gleich einen Millionär‘ , war in ihren Augen einer der wichtigsten Ratschläge, die eine Mutter ihrer Tochter mitgeben konnte. Außerdem wollte sie niemals Mum gerufen werden und unter keinen Umständen ihr Alter in der Öffentlichkeit erwähnt wissen.
Angel seufzte unhörbar. Ausgerechnet jetzt an ihre Mutter zu denken war die denkbar schlechteste Motivation, zumal sie allein ihretwegen in diesem schrecklichen Schlamassel steckte!
Wut, Schmerz und Unverständnis brodelten in ihrem Inneren, wenn sie an die fünfzigtausend Pfund dachte, die Chantelle mit ihrer Kreditkarte aufgenommen hatte. Angel hatte es nicht fassen können, als sie den Kontoauszug sah, der eines Morgens in ihrem Briefkasten steckte. Zunächst hielt sie es für einen Irrtum der Bank, doch bereits beim zweiten Lesen wusste sie, wer diese Katastrophe zu verantworten hatte.
Es war keine Premiere, dass Chantelle sich Geld von ihr borgte , wie sie es nannte, aber das erste Mal, dass Angel sie damit nicht durchkommen ließ. Wie immer dauerte es eine geraume Zeit, bevor ihre Mutter den Hörer abnahm. Wenn sie nicht gerade ihren Schönheitsschlaf hielt oder ein Wellnessbad nahm, war sie höchstwahrscheinlich auf Beutejagd auf einer ihrer Shoppingtouren .
„Ich habe gerade einen schockierenden Beleg über eine Summe erhalten, die ich niemals von meinem Konto abgebucht habe“, sagte sie eisig, als sich Chantelle im schmachtenden Sirenenton meldete. Offenbar hatte sie einen anderen Anrufer erwartet.
„Ach, richtig!“, rief ihre Mutter eher irritiert als schuldbewusst, als wäre ihr die dreiste Transaktion, die sie selbst höchstens als kleinen Fauxpas bezeichnet hätte, völlig entfallen. Angel war sofort klar, dass sie sich über die Konsequenzen ihres Tuns nicht einen Gedanken gemacht hatte. Aber tat sie das je?
„Ich wollte längst darüber mit dir sprechen, Sweetheart “, hatte ihre Mutter gesäuselt. „Aber sicher willst du ebenso wenig wie ich Allegras romantisches Wochenende mit einem derart unerfreulichen Thema ruinieren? Darum …“
An dieser Stelle hatte Angel das Gespräch abrupt beendet – aus Angst, sonst etwas Unverzeihliches zu sagen oder zumindest anzudrohen. Danach erlaubte sie sich einen Tränenausbruch, wie das kleine Kind, das sie niemals hatte sein dürfen. In der Beziehung zu ihrer Mutter musste sie die Erwachsene spielen, soweit sie zurückdenken konnte.
Zu weinen hatte sie sich
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