Das Geheimnis des Roten Ritters
Schwester. Johanna war sofort wach. Auch sie hatte bei all dem Geschnarche keinen rechten Schlaf
gefunden.
»Georg!« Johannas Augen leuchteten vor Freude, als sie im Dämmerlicht des frühen Morgens vor ihrem Vetter stand. »Du hast
ja noch deine Haare!«
Georg antwortete mit einem Grinsen. »Hast du gedacht, ich wäre hier zum Greis geworden?«, gab er zurück.
»Nein«, lachte Johanna leise. »Aber ich hatte schon befürchtet, du würdest wie ein Mönch aussehen.«
Hagen musterte Georg neugierig. »Es scheint, als ginge es dir hier gut. Kannst du jetzt Lesen und Schreiben?«
Georg wiegte den Kopf hin und her. »Es ist nicht immer einfach. Der Tag ist lang und hart. Aber ich habe wirklich viel gelernt.«
Er drückte Hagen eine Schale in die Hand. »Ihr müsst euch beeilen! Hier habt ihr etwas Milch mitGrütze. Trinkt und dann kommt mit zum Torhaus. Ich habe nur wenige Minuten Zeit.«
Hastig schlürfte Hagen den süßen Brei und reichte dann die Schüssel an Johanna weiter.
Georg schaute unruhig zu. »Es war wohltätig von Bruder Bertram, euch eine Schlafstatt zu geben«, sagte er. »Im Kloster sind
keine Frauen erlaubt. Der Abt kann da sehr ungnädig werden. Ihr müsst so schnell wie möglich aufbrechen.« Für einen Moment
sah er Johanna in die Augen und ihr Herz schlug schneller. »Was macht ihr eigentlich hier?«, fragte er.
Doch als sie antworten wollte, unterbrach Hagen sie.
»Während du es ihm erzählst, hole ich schon mal die Pferde und packe die Satteltasche.« Er nahm ihr den Geldsack aus der Hand.
»Wir treffen uns jenseits des Torhauses.«
Johanna sah ihrem Bruder hinterher, als er davoneilte. Es schien ihr fast, als wäre er in den letzten Stunden ein Stückchen
älter und kräftiger geworden.
Georg zog sie in den Schatten der Klostermauer, wo sie sich auf den Boden setzten.
Die Morgendämmerung hatte bereits begonnen und Johanna hätte gerne eine Weile einfach so neben Georg gesessen und die Stille
genossen.
Doch dafür war keine Zeit. Hastig erzählte sie ihrem Vetter alles, was sie erlebt hatten.
»Was für ein Abenteuer! Wie gerne würde ich euch begleiten.« Georgs Augen funkelten. Dann legte er den Arm um Johanna. »Pass
gut auf dich auf. Und wenn ihr nach dem Fest aus Mainz hier wieder vorbeikommt, musst du mir alles von der Schwertleite und
dem Roten Ritter und dem Geld berichten, ja?«
Für einen Moment schmiegte Johanna sich an ihren Vetter. Dann sprang sie auf. Hinter der Klostermauer war das leise Getrappel
der Pferde zu hören.
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Wiedersehen im Goldenen Bären
Johanna ließ ihr Pferd im raschen Trab laufen und sah sich immer wieder um.
»Warum schaust du ständig zurück? Glaubst du, Georg steht auf dem Kirchturm und winkt dir hinterher?«, neckte Hagen seine
Schwester.
»Tss«, machte Johanna schnippisch. »Ich hab nur daran gedacht, dass Vater und Waldemar vielleicht gar nicht in der Zeltstadt
übernachten. Vielleicht sind sie ja auch dieses Mal im Kloster abgestiegen. Dann sind sie vielleicht direkt hinter uns.«
»Das hätte uns Georg doch erzählt«, erwiderte Hagen.
»Stimmt«, meinte Johanna. »Aber was ist, wenn uns irgendein Lump verfolgt, der uns im Hospital mit dem Geldsack gesehen hat?
Das Kloster scheint mir nicht gerade der sicherste Ort zu sein.«
Hagen hielt seinen Schimmel an. Er seufzte. »Mir schon«, meinte er zögernd.
»Was meinst du damit?«
Hagen klopfte auf die Satteltasche.
Jetzt erst sah Johanna, dass die Tasche nicht mehr wie gestern rund und ausgebeult war. Da begriff sie, was Hagen meinte.
Der Geldbeutel war nicht mehr da!
»Ich hab ihn hinter dem Stall vergraben, als ich die Pferde geholt hab«, sagte Hagen.
»Was hast du?«
»Wir können doch nicht ständig mit dem Geldsack herumlaufen. Du hast doch selbst Angst, dass wir deshalb verfolgt werden könnten!«
»Hast du denn wenigstens ein paar Münzen für uns rausgenommen?«, fragte Johanna.
»Nein, das hab ich in der Eile ganz vergessen.« Hagen machte ein schuldbewusstes Gesicht.
Johanna schüttelte seufzend den Kopf. Stumm ritten sie weiter. Obwohl sie sich darüber ärgerte, dass ihr Bruder so eigenmächtig
gehandelt hatte, war sie gleichzeitig auch erleichtert. Selbst zu dieser frühen Morgenstunde war schon wieder allerhand Volk
unterwegs. Sämtliche Bettler und Tagediebe des Landes schienen nach Mainz zu wollen. Einige der armseligen Gesellen waren
sicher auch entlaufene Knechte, die nach Mainz flüchteten. »Stadtluft macht
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