Das Geheimnis des Scriptors
Wasser nicht heiß genug ist. Ich nehme die Hündin zur Bewachung meiner Klamotten mit. Da Nux sie bewacht, indem sie sich drauflegt, hat das den Nachteil, dass ich zwar sauber bin, aber nach Hund rieche. Nux ist nie sauber. Doch im Gegensatz zu einem bedauernswerten Mann, dem wir in Ostia begegneten, musste ich nie nackt nach Hause huschen, meine edelsten Teile mit einer geborgten Heißwasserkelle bedeckt.
Der Decumanus war der kürzere Heimweg, aber voller Menschen. Der nervöse Nackte hatte seine eigenen Probleme; er musste Spötteleien und Verhöhnungen über sich ergehen lassen. Wir waren kaum besser dran. Alle Lastenträger mit Handkarren besetzten die schattigen Gehwege, auf dem Straßenpflaster drängten sich die Wagen, und auf der Sonnenseite war es brütend heiß. Diocles’ Besitztümer waren nicht schwer, doch zu ihnen gehörten auch ein kleiner Klapphocker, Waschutensilien, eine halbleere Weinflasche und ein Stiluskasten. Der zusammengeknotete Mantel war so unhandlich, dass bei dem beschränkten Platz im Nachmittagsverkehr nur schwer durchzukommen war. Helena war mir keine Hilfe. Sie trug die Notiztafeln und hatte sich als unersättliche Leserin bereits beim Gehen darin vertieft.
»Seine Kritzeleien sind nutzlos. Anscheinend hat er sich nur Erinnerungsstützen wie ›morgen‹ aufgeschrieben, ohne zu notieren, was er da machen wollte … Dieser Damagoras, den du gefunden hast, ist der einzige Name …«
Es gab etwa fünf zusammengebundene Kodizille, jedes bestehend aus vier oder sechs doppelseitigen Holztafeln, und so hatte Helena alle Hände voll zu tun, die Schreibtafeln im Griff zu behalten, während sie eine nach der anderen öffnete. Einmal ließ sie sogar welche fallen, was aber die Schuld eines Wasserträgers war, der sie angerempelt hatte. Helena bückte sich, um sie aufzuheben, und durchkreuzte damit sämtliche Pläne aller »hilfsbereiten« Passanten, die hätten vorgeben können, ihr beim Aufsammeln zu helfen, während sie das eine oder andere stibitzten. Als Helena sich bückte, sah man einem lüsternen Kellner deutlich an, dass er sie in den Hintern kneifen wollte, aber Diocles’ Bündel war eine gute Deckung, unter der ich dem Kellner einen Tritt versetzte. Er stolperte mit seinem leeren Getränketablett zurück. Helena, die nichts davon bemerkt hatte, las ungerührt weiter. »Juno, was war der Mann für ein Langweiler … Hier hat er eine Tavernenrechnung aufaddiert. Und in dem letzten Kodizill hat er ein Raster fürs Damespiel aufgemalt.«
Die Tavernenrechnung war so niedrig, dass es sich nur um einen kalten Eintopf und einen Becher für eine Person handeln konnte. Der Klatschkolumnist speiste allein. Wenigstens ersparte uns das die Frustration über nicht nachzuverfolgende Treffen mit anonymen Kontaktpersonen. Das mutmaßliche Spielbrett hätte auch eine Karte für einen Treffpunkt sein können, doch wenn dem so war, hatte Diocles alle Straßennamen weggelassen. Das brachte uns nicht weiter.
»Vielleicht war er einer von diesen traurigen Kerlen, die ihre Freizeit damit verbringen, Pläne imaginärer Städte zu zeichnen«, spekulierte ich bedrückt. Nichts, was ich über ihn wusste, wies jedoch darauf hin, dass er in seiner Freizeit der König von Atlantis war.
»Marcus, nach allem, was ich bisher von ihm im Tagesanzeiger gelesen habe, hatte er genug Spaß dabei, seine Kreativität aufzuwenden für ›Flavia Conspicua scheint ihrer Ehe sehr schnell überdrüssig geworden zu sein. Kaum wurde sie von dem begehrten Gaius Mundanus den Armen ihrer Mutter entrissen, geht das Gerücht, dass sich Flavia (Erbin des Splendidus-Vermögens und erfahrene Amateur-Flötenspielerin) bereits wieder mit ihrer alten Flamme Gaudius trifft …‹ Das hab ich erfunden«, versicherte mir Helena.
»Klingt gut. Deine Flavia ist eine heiße Braut.«
»In Junggesellenkreisen sehr beliebt.«
»Blond?«
»Kastanienbraun, würde ich sagen. Keine besondere Figur, aber von liebenswerter Natur. Sie würde alles für alle tun.«
»Das kann man auf verschiedene Weise interpretieren …«
»Allerdings!«
»Sag mal, wird ›Flöte spielen‹ in Skandalkolumnen als anzügliche Umschreibung benutzt?«, erkundigte ich mich.
»Das kannst du wohl sagen«, erwiderte Helena mit der Gesetztheit, die ich so an ihr liebte. »Man könnte meinen, ganz Rom klingt wie ein Blasinstrumentenorchester angesichts der herrschenden lockeren Moralvorstellungen. Flavias Fingersatz ist legendär, ihre Atembeherrschung ganz
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