Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Mannes ächzte wie eine alte Eichentür. Nik schauderte.
»Nun, er hat lange in London gelebt, weil er mit Schriften und seltenen Kostbarkeiten aus dem Orient handelte. Für Flambert hat er so manche Rarität aufgetrieben«, plauderte er weiter.
Obwohl die Männer mit dem Rücken zu ihm standen, konnte sich Nik das runde schmunzelnde Gesicht des Hausherrn gut vorstellen. Der Dicke wippte beim Sprechen fröhlich auf den Fußballen vor und zurück und breitete immer wieder die Arme aus, um seine Gedanken mit der einen oder anderen Geste zu untermalen.
»Flambert hat ihm einige der schönsten Tücher überlassen,die bei den Experimenten entstanden sind.« Der Hausherr hörte auf mit der fröhlichen Schaukelei. »Ist Flambert mit Euch nach Amsterdam gekommen?«
»Leider nicht. Er hat ein anderes Schiff genommen. Wo hält sich Euer Bruder dieser Tage auf?«, fragte der Zweite.
In seiner Stimme schwang etwas Lauerndes mit, das Nik beunruhigte.
Am liebsten wäre er aufgesprungen, um den Hausherrn vor seinem Gast zu warnen. Merkte der nicht, wie ihn der Mann ausfragte und welche Gefahr von ihm ausging, obwohl er ganz ruhig dastand?
»Mein Bruder verstarb vor einigen Wochen. Gott hab ihn selig«, antwortete der Hausherr ernst. »Er hatte eines dieser wunderbaren Tücher von Flambert in London abgeholt und dann ein Schiff nach Amsterdam genommen. Noch bevor sie das offene Meer erreicht hatten, ist er an Fieber und Beulen gestorben. Tragisch.«
Niks Herz klopfte schmerzhaft in seiner Brust.
Irgendetwas an der Geschichte ließ ihn aufhorchen, aber er wusste nicht genau, was es war. Unzählige Menschen waren in den vergangenen Jahren an Fieber und Beulen gestorben und Nik machte das Schicksal des Toten traurig. Der Dicke hatte seine Geschichte jedoch so beiläufig erzählt wie eine Anekdote vom Markt und schien sich nicht weiter über den Tod seines Bruders zu grämen. Nik hingegen sah sofort die blassen Gesichter seiner verstorbenen Brüder vor sich und all die Anstrengungen, die er nach ihrer Beerdigung unternommen hatte, um den Grund für das Fieber zu erfahren. Er hatte Apotheker, Chirurgen und Ärzte gefragt und sich nach Heilmöglichkeiten erkundigt, doch wenn er überhaupt eine Antwort bekam, dann widersprach sie allem, was er zuvor gehört hatte. Einer behauptete, nur Bernstein heile diese Krankheit, die durch schlechte Winde verbreitet würde. Ein anderer führte aus, wie er mit Essig die unsichtbaren Teilchen auf der Haut eines Erkrankten vertrieben habe. Ein Apotheker schwor auf den Duft von Zimt, um die verseuchte Luft zu reinigen, und ein Chirurg empfahl den Aderlass, da die Beulen nachweislich durch eine Verunreinigung des Blutes entstünden.
Oben an der Treppe rief eine Frau. Nik hatte nicht verstanden, was sie gesagt hatte, doch der Hausherr drehte sich um.
»Sucht Euch einen guten Tropfen aus. Das Mahl ist vorbereitet, und ich lasse es auftragen, damit Ihr Euch stärken könnt.« Er klemmte sich einen Krug unter den Arm und verbeugte sich vor seinen Gästen, bevor er im Treppenaufgang verschwand.
Einer der beiden Männer streckte die Hand aus und zog etwas aus dem Regal. Der andere trat einen Schritt zurück. Seine Hände zitterten und das Licht schwankte unregelmäßig auf und ab. Dieser Mann stand nah an der Tür, die die beiden Räume trennte. Wenn Nik die Hände durch das schmale Gitter stecken würde, könnte er ihn am Rücken berühren. Er duckte sich noch tiefer hinter die Säcke und atmete langsam und lautlos.
Als er ein schmatzendes Geräusch hörte, richtete er sich etwas auf, um wieder nach nebenan zu spähen. Der Mann am Regal trank aus einem Krug. Er wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab und drehte sich um.
Nik sah sein weißes Haar und hob den Kopf noch ein wenig höher, um das Gesicht des zweiten Fremden zu erkennen. In dem Moment ließ der seine Lampe fallen. Glas splitterte, der Mann mit der tiefen Stimme fluchte leise und trat mit zwei Schritten neben den zitternden Körper.
»Hör auf, Gustav, du musst dich beruhigen.« Seine Stimme war tief und klang wie die einer Amme, die einem kleinen Kind die Angst nehmen wollte. »Niemand kennt uns hier. Wir fangen neu an«, fuhr er fort und klopfte dem anderen auf den Rücken.
»Doch, er«, flüsterte derjenige, der mit Gustav angeredet worden war, und zeigte mit der Hand auf den Kelleraufgang.
Der Weißhaarige schüttelte den Kopf. »Er ahnt nichts. Wir sind außergewöhnliche Handwerker. Künstler sogar.«
Gustav schnaufte.
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