Das Geheimnis meiner Mutter
sofort wieder aus.
„Meine Güte, Zach“, sagte sie zu dem an der Hauswand lehnenden Teenager. „Die Dinger werden dich noch mal umbringen.“
„Nö“, sagte er und schnippte die Asche in den Mülleimer. „Bevor das passiert, höre ich auf.“
„Aha.“ Sie räusperte sich. „Das sagen sie alle.“ Sie hasste es, wenn Kinder rauchten. Sicher, ihr Großvater hatte auch geraucht. Selbstgedrehte. Aber zu seiner Zeit hatte man auch noch nichts von den Gefahren des Rauchens gewusst. Heutzutage galt diese Entschuldigung nicht mehr. Sie nahm eine Handvoll Schnee und warf sie auf die Zigarette, um die Glut zu löschen.
„Hey“, sagte er.
„Du bist ein kluger Junge, Zach. Ich hab gehört, dass du ein hervorragender Schüler bist. Wie kann es also sein, dass du so dumm bist, was das Rauchen angeht?“
Er zuckte die Schultern und hatte wenigstens den Anstand, ein bisschen verlegen auszusehen. „Frag meinen Dad. Ich bin in vielen Dingen dumm. Er will, dass ich das nächste Jahr oben an der Rennbahn in Saratoga arbeite, um mir das Geld fürs College selber zu verdienen.“
Matthew Alger war Verwaltungsbeamter der Stadt, und anhand der winzigen Trinkgelder, die er im Coffeeshop der Bäckerei gab, wusste Jenny, dass er auch privat sein Geld sehr zusammenhielt. Das galt offenbar auch in Bezug auf seinen Sohn. Jenny war ohne Vater aufgewachsen und hatte sich öfter, als sie zählen konnte, einen gewünscht. Doch Matthew Alger war der lebende Beweis dafür, dass diese von ihr so lang ersehnte Beziehung manchmal auch überbewertet wurde.
„Ich habe gehört, mit dem Rauchen aufzuhören spart dem durchschnittlichen Raucher fünf Dollar am Tag.“ Sie fragte sich, ob ihre Stimme in seinen Ohren seltsam klang, ob er hören konnte, mit welcher Mühe sie jedes Wort an der Enge ihrer Kehle vorbeipressen musste.
„Ja, das hab ich auch gehört.“ Er schnippte die feuchte Zigarette in den Mülleimer. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er, bevor sie ihn schelten konnte. „Ich wasche meine Hände, bevor ich mich wieder an die Arbeit mache.“
Er schien jedoch keine Eile zu haben, wieder hineinzugehen. Sie überlegte, ob er mit ihr reden wollte. „Will dein Dad, dass du ein ganzes Jahr arbeitest, bevor du aufs College gehst?“
„Er will, dass ich arbeite, Punkt. Er erzählt mir immer wieder, wie er sich ganz alleine durchs College gebracht hat, ohne Hilfe von seiner Familie und so.“ In seinen Worten klang keine Bewunderung mit.
Was wohl mit Zachs Mutter war? Sie hatte schon vor längerer Zeit wieder geheiratet und war nach Seattle gezogen. Zach sprach nie über sie. „Was willst du denn, Zach?“, fragte Jenny.
Er sah überrascht aus, als wäre er das schon lange nicht mehr gefragt worden. „Ich will irgendwo weit weg aufs College gehen“, sagte er. „Irgendwo anders leben.“
Das konnte Jenny nachempfinden. In seinem Alter war sie auch davon überzeugt gewesen, dass irgendwo weit weg ein aufregendes Leben auf sie wartete. Sie hatte es allerdings nie aus der Tür hinaus geschafft. „Dann solltest du das tun“, sagte sie mitfühlend.
Er zuckte die Schultern. „Ich schätze, ich werde es versuchen. Jetzt muss ich aber zurück an die Arbeit.“
Er ging hinein. Jenny blieb noch draußen stehen und blies falsche Rauchringe in die kalte Luft. Auch wenn die Unterhaltung sie kurzfristig abgelenkt hatte, hatte das nicht gereicht, die drohende Panik zu verscheuchen. Jetzt war sie allein mit dem Gefühl; es schrie in ihrem Inneren wie Sirenen in der Stille der Nacht. Und wie die Sirenen wurde auch das Gefühl immer stärker und lauter. Der Sternenhimmel schien immer näher zu kommen und sie mit seinem Gewicht nach unten zu drücken.
Ich gebe auf, dachte sie und schob ihre Hände in die Taschen ihrer Bäckerhose. Ihre Finger schlossen sich um das Plastikfläschchen mit den Tabletten. Die Tablette war nicht sonderlich groß. Sie schluckte sie ohne Wasser und wusste, dass die Wirkung nicht lange auf sich warten lassen würde. Es ist schon erstaunlich, dachte sie, dass so eine kleine Pille das furchterregende Schlagen meines Herzens in meinem Brustkorb beruhigen und das panische Zischen in meinem Kopf herunterkühlen kann.
„Nehmen Sie die Tabletten nur, wenn es gar nicht anders geht“, hatte der Arzt sie gewarnt. „Dieses Medikament kann sehr schnell abhängig machen, und der Entzug davon ist extrem unangenehm.“
Trotz der Warnung fühlte sie sich bereits ruhiger, als sie das Fläschchen wieder wegsteckte. Sie
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