Das Geheimnis meiner Mutter
einem seltsamen Gesichtsausdruck an. „Was ist denn falsch an Jenny dem Bäckermädchen? Die Leute mögen sie.“
„Ja, vielleicht mag ich sie aber nicht.“ Sie seufzte und starrte auf das klare Wasser, das über die Steine im Flussbett rauschte. „Nina und ich hatten große Pläne. Wir wollten nach der Highschool in die Stadt ziehen. Uns Arbeit suchen. Aufs College gehen. Jetzt bekommt sie ein Baby, also sieht es wohl so aus, als wäre ich auf mich allein gestellt.“
Sie betrachtete Joey und Rourke, die beide so gut aussahen und die so zufrieden schienen mit dem, was sie waren. Sie war nicht sicher, aber sie verspürte das Bedürfnis, sich ihnen anzuvertrauen. „Wenn ich euch jetzt was sage, versprecht ihr mir, es niemandem weiterzuerzählen?“
Rourke und Joey tauschten einen Blick. „Versprochen.“
„Als Nina heute aus der Klinik kam und sagte, dass sie das Baby behalten will, hatte ich einen Moment, in dem ich – das ist so verrückt – in dem ich eifersüchtig war. Ich meine, ich weiß, dass es erschreckend ist, ein Kind zu kriegen, vor allem, wenn man selber noch ein Kind ist, aber trotzdem konnte ich nicht gegen meine Gefühle an, und die waren hässlich.“
Rourke zuckte mit den Schultern. „Menschen denken die ganze Zeit hässliche Gedanken. Das wird nur zum Problem, wenn man sich auch dementsprechend verhält.“ Er sprach leichthin, dennoch spürte sie eine Art machtvolles Wissen hinter seinen Worten.
„Was hast du denn gedacht?“, fragte sie.
„Darüber, dass sie ein Kind bekommt?“ Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Wie ich schon sagte, es ist ihre Entscheidung. Mann, ich werde niemals Kinder haben.“
„Das sagen alle Jungs“, sagte Jenny. „Ich wette, in zehn oder fünfzehn Jahren schiebst du einen Kinderwagen oder läufst mit einem dieser Tragetücher herum …“
„Aber nicht Rourke“, sagte Joey.
„Stimmt. Manche Menschen sollten keine Eltern werden“, pflichtete Rourke ihm bei.
Sie schaute ihn an. „Du meinst deinen Vater.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Das musstest du auch nicht.“ Jenny fand den Unterschied zwischen Senator McKnights öffentlicher Person und dem Privatmenschen sehr überraschend. Manchmal konnte sie es kaum glauben, aber auch Joey hatte ihr versichert, dass der Mann ein Arschloch ersten Ranges war. Wenn der Senator in der Öffentlichkeit mit seiner Familie auftauchte, sahen sie zusammen so gut aus – der ernste, öffentliche Bedienstete, seine entzückende Frau, sein gut aussehender, wohlerzogener Sohn. Aber über die Jahre hatte Rourke ihr kleine Einblicke in die Turbulenzen hinter den Kulissen gewährt.
„Ich habe auch eine Entscheidung getroffen“, sagte er.
Joey und Jenny beugten sich aufmerksam vor.
„Ich werde mit meinem Vater brechen.“
„Was meinst du damit?“, fragte Joey.
„Ich werde mein Leben alleine leben.“
Sein Vater hatte große Pläne für ihn. Er sollte an die Columbia oder nach Cornell gehen. Seinen Abschluss mit Auszeichnung machen. Die Familientradition fortführen. In Jennys Ohren klang das alles großartig, aber Rourke hatte offensichtlich andere Vorstellungen.
„Die ganze Zeit dreht sich alles nur um das, was du nicht willst“, sagte sie. „Du willst keine Kinder, du willst nicht an die Columbia gehen, du willst nicht in die Fußstapfen deines Vaters treten. Aber was genau willst du eigentlich?“
„Ich habe ein paar Ideen, von denen keine meinen alten Herrn erfreuen wird. Und mehr sage ich zu diesem Thema im Moment nicht.“
„Wie steht’s mit dir, Joey?“ Jenny war aufgefallen, dass er sehr still geworden war.
„Ich habe einen Plan“, sagte er. „Ich werde zur Army gehen.“
Sie sah ihn fragend an. „Die Army? So wie Boot Camp und all das?“
„Klar“, sagte er. „Nächsten Herbst geht es los.“
Sie wusste nichts über die Armee, außer das, was in den Werbespots im Fernsehen gezeigt wurde, die einem versprachen, dass man eine Ausbildung erhielt und die Welt zu sehen bekam. Sie war sich ziemlich sicher, dass da irgendwo ein Haken war. Bestimmt musste man an gefährliche Orte gehen, wo Menschen versuchten, einen zu töten oder so. Sie wandte sich an Rourke. „Was hältst du davon?“
„Ich denke, Joey sollte tun, was immer er will.“
„Und du willst das?“ Jenny schaute wieder Joey an.
Er erwiderte ihren Blick. Sie berührten sich nicht und standen noch nicht einmal nah beieinander, trotzdem spürte sie diesen Blick wie eine warme Brise
Weitere Kostenlose Bücher