Das Geheimnis von Ella und Micha: Ella und Micha 1 - Roman (German Edition)
Reinigungsmitteln schlägt uns entgegen, als wir auf den Anmeldetresen zugehen. Dahinter telefoniert eine Sekretärin. Sie ist jung und hat ihr dunkles Haar zu einem geflochtenen Dutt aufgesteckt. Ich ertappe sie dabei, wie sie Micha mustert, als sie das Telefon auflegt und sich uns zuwendet.
Sie legt die Hände über Kreuz auf den Schreibtisch. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, können Sie uns sagen, in welchem Zimmer Grady Morris liegt?«, fragt Micha höflich lächelnd.
Sie tippt auf die Tastatur ein und liest ab: »Er liegt im ersten Stock, Zimmer 214.«
Wir bedanken uns und gehen zum Fahrstuhl. Micha legt seinen Arm um mich und zieht mich näher zu sich, als wir das Stockwerk erreichen. Ich schiebe meine Hand in seine hintere Jeanstasche, weil ich dringend Beistand brauche. Als wir das Zimmer betreten, dreht sich in mir alles um, bis ich bemerke, dass Grady in seinem Bett sitzt und eine Schale grünen Wackelpudding isst. Unter dem Neonlicht sieht er blass aus. Seine Arme sind nur noch Haut und Knochen, und seine Augen liegen noch tiefer in den Höhlen als beim letzten Mal, als ich ihn sah. Er ist an einen Apparat angeschlossen, der in der Ecke leise piept, und eine Infusion führt in seine Hand. Ein paar seiner Sachen von zu Hause hängen an den Wänden, sodass sie weniger kahl wirken.
Irgendwie schafft er es, richtig zu lächeln. »Genau das, was ich mir gewünscht habe! Die beiden mir liebsten Menschen auf der Welt!«
Ich entspanne mich ein wenig, und Micha und ich holen uns Stühle heran, um uns zu beiden Seiten an sein Bett zu setzen. Grady schiebt sein Tablett weg und legt die Hände in den Schoß.
»Und? Verratet ihr mir, was los ist?«, fragt er, worauf Micha und ich verwirrte Blicke wechseln. »Ich meine, so ineinander verschlungen, wie ihr hier reingekommen seid.«
»Micha hat mich dazu gezwungen«, scherze ich mit einem Seitenblick zu Micha. »Er hat sich wie ein Baby benommen und mir erzählt, dass ich ihn knuddeln soll.«
Micha zwinkert mir zu. »Ja, und du bist darauf reingefallen.«
Grady schüttelt den Kopf und lacht, was herzzerreißend zerbrechlich klingt. »Ah, es ist so schön, euch zwei wieder zusammen zu sehen.« Dann wird er still, bevor er mich ansieht. »Du siehst glücklicher aus als beim letzten Mal.«
»Bin ich auch«, sage ich und lehne meine Arme auf seine Bettkante.
»Aber noch nicht so richtig«, stellt er besorgt fest.
»Nein, nicht ganz. Ich arbeite daran.«
Meine Antwort scheint ihm zu genügen. »Drüben in der Ecke habe ich was für dich.«
Micha und ich folgen seinem Blick zu einem kleinen Karton. Ich gehe hin, sehe hinein und muss vor lauter Rührung lächeln, als ich die zerbrochene Vase aufnehme, die ich als Kind kaputt gemacht habe. Sie ist schwarz mit einem roten Muster am oberen Rand. Der Boden ist allerdings zerbrochen, sodass man nie wieder Blumen hineinstellen kann.
Mit der Vase in der Hand drehe ich mich zu ihm um. »Die hast du aufbewahrt?«
Er zuckt mit den Schultern. »Nur weil sie kaputt ist, verliert sie ja nicht gleich an Bedeutung. Und ich dachte mir, ich gebe sie dir eines Tages, wenn dir klar geworden ist, dass es okay ist, Fehler zu machen.«
Mir kommen die Tränen. »Danke, Grady. Und das meine ich ernst. Danke für alles. Dafür, dass du mir in meiner Kindheit ein bisschen Trost gegeben hast, und dass du mir gezeigt hast, dass nicht alles schwierig sein muss.«
»Gern geschehen«, sagt er schlicht.
Ich gehe zurück zum Bett und umarme ihn. Dabei gebe ich mir Mühe, nicht zu weinen, aber ein paar Tränen kommen doch, die ich hastig wegwische, bevor ich mich wieder aufrichte.
Wir reden noch ein bisschen über das, was wir so machen, bis die Schwester kommt und uns aus dem Zimmer scheucht, damit sie die Laken wechseln kann. Micha und ich gehen. Wir beide wissen, dass es wahrscheinlich das letzte Mal war, dass wir ihn gesehen haben. Ich weine auf der gesamten Rückfahrt, die kaputte Vase in den Armen haltend. Aber mit Micha an meiner Seite weiß ich, dass alles gut wird.
MICHA
»Bist du sicher, dass du alles eingepackt hast?«, fragt meine Mom zum hundertsten Mal.
Ich habe ihr nie davon erzählt, was mit meinem Dad vorgefallen ist, weil ich nicht wollte, dass sie sich noch mehr sorgt als sowieso schon. Es war ein Erlebnis, das ich für immer wegsperre.
Ich nehme meinen Gitarrenkoffer auf und schwinge mir die Tasche auf die Schulter. »Ja, ich habe alles, Mom. Entspannst du dich jetzt mal? Du machst mich wahnsinnig.«
»Tut mir
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