Das Geheimnis von Orcas Island
Mae nickte, zufrieden mit der Qual, die sie in seinen Augen sah. »Und sie ist trotzig. Sie haben Schnittwunden.«
Automatisch strich er über den Schnitt an seiner Schläfe. »Würden Sie ihr bitte diese Nummer geben?« Er legte eine Karte auf den Tisch. »Da kann sie mich erreichen, wenn … Sie kann mich da erreichen.«
»Setzen Sie sich. Ich werde Sie verarzten.«
»Nein, schon gut.«
»Ich sagte, setzen Sie sich.« Mae ging zum Schrank und holte eine Flasche Antiseptikum. »Sie hatte einen schweren Schock.«
Plötzlich sah er im Geiste Block das Messer an Charitys Kehle halten. »Ich weiß.«
»Sie erholt sich meistens ziemlich schnell. Sie liebt Sie.«
Ronald zuckte ein wenig zusammen, als Mae das Antiseptikum auftrug, aber nicht vor Schmerz. »Sie hat mich geliebt.«
»Sie liebt Sie«, beharrte Mae. »Sie will im Moment nur nicht. Sind Sie schon lange Agent?«
»Zu lange.«
»Werden Sie dafür sorgen, dass dieser Wurm Roger Block hinter Schloss und Riegel kommt?«
Ronald ballte die Hände zu Fäusten. »Ja.«
»Lieben Sie Charity?«
Er entspannte die Hände. »Ja.«
»Ich glaube Ihnen, und deshalb werde ich Ihnen einen Rat geben.« Ein wenig keuchend setzte Mae sich neben ihn. »Sie ist verletzt, sehr verletzt. Sie ist ein Mensch, der die Dinge gern selbst ins Lot bringt. Lassen Sie ihr ein bisschen Zeit.« Sie nahm die Karte und steckte sie in ihre Schürzentasche. »Die behalte ich vorläufig lieber bei mir.«
Charity fühlte sich stärker. Und nicht nur körperlich, entschied sie, während sie hinter Ludwig her rannte. In jeder Beziehung. Die Albträume, die sie Nacht für Nacht geweckt hatten, verblassten allmählich. Es fiel ihr längst nicht mehr so schwer zu reden oder zu lächeln oder vorzugeben, dass wieder alles in Ordnung war.
Sie dachte selten an Ronald. Mit einem Seufzer korrigierte sie sich. Sie würde niemals wieder stark werden, wenn sie sich selbst belog. Sie dachte ständig an ihn. Es fiel ihr schwer, es nicht zu tun, und an diesem Tag war es ganz besonders schwer.
An diesem Tag hätten sie heiraten sollen. Der Schmerz kam, breitete sich aus und wurde aufgenommen. Kurz nach Mittag, während Mendelssohn-Bartholdys Hochzeitsmarsch erklang und die Sonne in den Garten schien, hätte sie ihre Hand in seine gelegt. Und geschworen.
Eine Fantasie, sagte Charity sich. Es war damals eine Fantasie gewesen, und es war jetzt eine.
Und dennoch … Mit jedem Tag, der verging, erinnerte sie sich deutlicher an die gemeinsame Zeit. An sein Widerstreben, seinen Zorn. Dann seine Zärtlichkeit und Besorgnis. Sie blickte hinab auf das Armband, das an ihrem Handgelenk schimmerte.
Sie hatte versucht, es in die Schachtel zurückzulegen, es in eine dunkle, selten geöffnete Schublade zu schieben. Jeden Tag nahm sie es sich von neuem vor. Für morgen. Und jeden Tag erinnerte sie sich von neuem, wie lieb, wie verlegen und wie wundervoll er gewesen war, als er es ihr geschenkt hatte.
Wenn es für ihn nur ein Job gewesen war, warum hatte er ihr dann so viel mehr als nötig gegeben? Nicht nur das Schmuckstück, sondern alles, was der goldene Reif symbolisierte? Er hätte ihr Freundschaft und Respekt bieten können, so wie Bob es getan hatte, und sie hätte ihm ebenso vertraut. Er hätte ihre Beziehung rein körperlich halten können. Ihre Gefühle wären dieselben geblieben.
Charity schüttelte den Kopf und beschleunigte ihr Tempo, um mit Ludwig Schritt zu halten. Sie war schwach und sentimental. Es lag nur an diesem Tag … diesem wundervollen Frühlingsmorgen, der ihr Hochzeitstag hätte sein sollen. Sie musste zum Gasthaus zurückkehren und sich beschäftigen. Dieser Tag würde vergehen, so wie all die anderen vergangen waren.
Zuerst glaubte sie, es wäre Einbildung, als sie Ronald am Straßenrand stehen und zum Sonnenaufgang über dem Wasser blicken sah. Sie zögerte. Ihre Knie wurden weich.
Er hörte sie kommen. Im zunehmenden Licht erinnerte er sich, wie er sich gefragt hatte, ob er zurückkehren würde, ob er einfach dastehen und darauf warten würde, dass Charity zu ihm gelaufen käme.
Sie lief nicht. Sie ging sehr langsam. Konnte sie wissen, dass sein Leben in ihrer Hand lag?
Sie war sehr nervös, die Finger um die Leine verkrampften und lockerten sich wieder. Sie betete, als sie vor ihm stehen blieb, dass ihre Stimme fest sein möge.
»Was willst du?«
Ronald bückte sich, um den zappelnden Hund zu streicheln. »Dazu kommen wir später. Wie geht es dir?«
»Es geht mir gut.«
»Du
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