Das Geheimnis von Vennhues
Reihe von Kirchgängern im hinteren Teil des Fotos stand abseits ein Wagen. Es war ein Renault, und die Zahlenfolge auf dem Nummernschild war deutlich zu erkennen.
Hambrock blickte seine Schwester ungläubig an. »Birgit, das ist …«
»Phantastisch?« Sie schob die Sonnenbrille wieder auf die Nase. »Na also. Du siehst, deine kleine Schwester ist doch noch zu etwas gut. Denk in Zukunft daran und sei ein bisschen netter zu mir.«
Hambrock lächelte. »Du machst es einem wirklich nicht leicht, danke zu sagen.«
Birgits Augen lagen hinter der Sonnenbrille verborgen.
»Du musst dich nicht bei mir bedanken«, sagte sie. »Das weißt du hoffentlich.«
Dann kurbelte sie das Fenster hoch und startete den Wagen.
Zurück in Vennhues rief Hambrock Eric ten Hoeve an, seinen Amtskollegen in Enschede. Er führte das Gespräch auf Niederländisch, auch wenn er wusste, dass ten Hoeve fließend deutsch sprach. Hambrock hatte vor einiger Zeit Erlends Familie zuliebe begonnen, diese Sprache zu lernen, und da es viele Ähnlichkeiten mit dem ihm vertrauten Plattdeutsch gab, fiel es ihm erstaunlich leicht.
Er hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass die Sprache ihm als Türöffner dienen konnte. Auch wenn nahe der Grenze fast jeder Niederländer deutsch sprach, begegneten ihm die Leute dennoch mit Respekt und Freundlichkeit. Auch ten Hoeve zeigte sich positiv überrascht.
Er versprach Hambrock, den Halter des gesuchten Pkws so bald wie möglich ausfindig zu machen. Am Nachmittag wollte er sich wieder melden, und dann ließe sich schnell überprüfen, ob diese Spur irgendwo hinführte.
Im Schankraum der Dorfkneipe saß nur noch Christian Möller, alle anderen Kollegen waren bereits wieder unterwegs. Möller hockte über seinem Laptop und nutzte die Ruhe, um seine Berichte zu schreiben. Hambrock versuchte ihn in eine Plauderei zu verwickeln, doch Möller antwortete nur einsilbig und wandte sich dann wieder seinem Bildschirm zu.
Schließlich stand Hambrock auf und ging zur Tür.
»Ich werde ein bisschen spazieren gehen«, sagte er. »Wir sehen uns später.«
Möller nickte knapp, und Hambrock trat hinaus ins Freie. Er inhalierte die kühle Luft und blickte in den diesigen Himmel.
Vielleicht könnte er seine Eltern besuchen. Seine Mutter kochte stets für eine ganze Armee, auch wenn sie schon seit Jahren mit ihrem Mann allein lebte. Da wäre es kein Problem, unangemeldet aufzutauchen. Er würde eine Runde um die Kirche drehen und danach zum Hof seiner Eltern spazieren.
Er dachte über den Fall nach. Nüchtern betrachtet musste er sich eingestehen, dass bislang alle Spuren ins Nichts geführt hatten. Wieder schien nur Peter Bodenstein als Tatverdächtiger in Frage zu kommen.
Die letzten Tage waren denkbar schlecht für ihn verlaufen. Zunächst hatte er den zweiten Mord nicht verhindern können, und dann war ihm Peter Bodenstein entkommen. Weder Norbert Osterholt hatte sich überführen lassen noch Josef Kemper. Und der geheimnisvolle Pkw von damals war eine Erfindung von Aenne Brook gewesen. Von dem gesuchten Renault versprach sich Hambrock nun auch nicht mehr viel.
Hinter der Kirche blickte er zum Prozessionsweg, als ihn etwas innehalten ließ. Er sah sich um. Wieder glaubte er beobachtet zu werden. Doch es war nirgends jemand zu sehen. Er war allein.
Mit einem Schulterzucken wandte er sich ab. Dann griff er in seine Manteltasche und fischte das Handy hervor. Vielleicht wäre es doch besser, auf dem Hof anzurufen und seinen Besuch anzukündigen.
Zu spät bemerkte er den Schatten auf dem Schotterweg. Bevor er reagieren konnte, spürte er einen harten Schlag im Nacken. Das Handy fiel vor ihm ins Gras. Danach wurde alles dunkel.
25
»Warum geht denn der Alte nicht an sein Handy?«, fragte Philipp Häuser.
Christian Möller sah mit einem Stirnrunzeln von seinem Laptop auf.
»Besser, du lässt es den Chef nicht hören, wie du ihn in seiner Abwesenheit nennst.«
»Ach komm schon, was ist denn dabei? Ich könnte auch ›der Dicke‹ sagen.«
Möller bedachte ihn mit einem langen Blick, dann vertiefte er sich wieder in seine Arbeit.
Sie waren im Grunde ja ganz nett, die Leute von der Münsteraner Gruppe elf, dachte Philipp, doch an Humor mangelte es hier allen. Das musste er immer wieder feststellen.
Er nahm das Gruppenhandy, eine Art offizieller Telefonanschluss der Kommission in Außeneinsätzen, und versuchte es ein weiteres Mal. Doch es war immer das Gleiche. Es läutete endlos, und am Ende sprang die Mailbox an.
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