Das Geheimnis von Vennhues
Hambrock hatte sein Handy nicht abgeschaltet, es musste also irgendwo herumliegen und vor sich hinklingeln.
Vielleicht hatte er es ja auch verloren, dachte Philipp. Oder er lag mit seinem zerknautschten Gesicht darauf und ließ sich nicht aufwecken. Die Vorstellung gefiel ihm: Der Chef schlief so fest, dass ihn kein Bombenangriff wecken konnte.
Philipp zögerte. Im Grunde war Hambrock selber schuld. Schließlich hätte er das Gruppenhandy mitnehmen können, statt es bei Esking liegen zu lassen. Denn auf diesem Handy gingen die meisten Hinweise ein. Wenn er es nicht mitnahm, dann musste Hambrock damit rechnen, dass jemand anders einen Hinweis aufnahm und bearbeitete. Und in diesem Fall war es nun einmal Philipp gewesen.
Er blickte auf und betrachtete Christian Möller. Der Kommissar war völlig in seine Arbeit vertieft. Er hatte wohl nichts von dem Gespräch mitbekommen, das Philipp gerade mit Eric ten Hoeve geführt hatte.
Die Niederländer hatten den gesuchten Pkw ausfindig gemacht. Der Halter des Wagens saß nun auf einer Polizeiwache und wartete auf seine Befragung. Es war nicht üblich, dass deutsche Beamte solch eine Vernehmung in den Niederlanden begleiten durften. Doch in diesem Fall hatte der zuständige Staatsanwalt eine Ausnahme gemacht.
Eine Verdächtigenvernehmung!, dachte Philipp erregt. Was könnte mir Besseres passieren?
Ließ man einmal Peter Bodenstein außer Acht, war dieser Mann das Einzige, das sie noch hatten. So eine wichtige Vernehmung hatte Philipp noch niemals geführt, und die Vorstellung war einfach zu verlockend: Er, Philipp Häuser, überführte den Täter in einer Mordermittlung. Als Praktikant. Was für ein wahnsinniger Auftakt einer vielversprechenden Karriere.
»Welche Dienstwagen haben wir noch hier?«, fragte er Möller.
»Nur den Corsa.«
»Den Corsa?« Nicht gerade dem Anlass angemessen, aber darauf konnte er nun keine Rücksicht nehmen.
»Ich bin dann mal kurz weg«, sagte er. »Bis später.«
Mit Erleichterung nahm er zur Kenntnis, dass Möller keine weiteren Fragen stellte. Er nahm den Schlüssel und eilte zum Parkplatz.
Den Weg nach Enschede fuhr er in konstantem Tempo – knapp oberhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung. Er fühlte sich großartig. In bunten Farben malte er sich aus, was er seinen Leuten in Köln erzählen würde. Seine erste Mordermittlung, und er war es gewesen, der dem Mörder letztlich ein Geständnis abgerungen hatte. Es war beileibe nicht leicht gewesen, würde er sagen, doch am Ende hatte ihm der Täter nichts mehr entgegenhalten können.
In Enschede saß er eine Weile im Verkehr fest, doch schließlich fand er ohne größere Probleme die Wache, in der man bereits auf den deutschen Kollegen wartete.
Eric ten Hoeve, ein mittelgroßer Mann mit flachsblonden Haaren, kam ihm entgegen und runzelte die Stirn.
»Sie sind nicht Hauptkommissar Hambrock«, sagte er.
»Nein. Aber Hambrock hat mich geschickt«, sagte Philipp. »Er meint, ich wäre der richtige Mann für diese Sache.«
Ten Hoeve zog überrascht die Augenbraue hoch.
»Sprechen Sie denn niederländisch?«
Philipp stutzte. Darüber hatte er sich keine Gedanken gemacht.
»Ist das denn notwendig?«.
»Nun, wenn Sie nur deutsch sprechen, dann wird es auch so gehen müssen«, erwiderte ten Hoeve kühl. »Der Mann heißt Hans Fonteijn, er ist Rentner und lebt in Winterswijk. Er wartet nebenan. Wir haben ihm bereits erste Fragen gestellt, und es sieht so aus, als gäbe es einen ganz einfachen Grund für seine zahlreichen Besuche in Vennhues. Er ist Ornithologe.«
Philipp blieb der Mund offen stehen.
»Ein Vogelkundler?«
Seine Enttäuschung war grenzenlos.
»Wundert Sie das?«, fragte ten Hoeve. »Das Vennhueser Moor ist doch bekannt für seinen Artenreichtum in der Pflanzen- und Tierwelt. Es gibt dort die Biologische Station und die Vogelwarte. Man trifft nicht nur im Sommer auf Tierfreunde.«
Philipp blickte zu der Tür, hinter der dieser blöde Rentner wartete. Im Grunde war es tatsächlich keine Überraschung. Im Gegenteil, es war sogar das Naheliegende.
»Sollen wir mit der Befragung beginnen?«, fragte ten Hoeve.
»Natürlich.«
Philipp zog seine Unterlagen hervor und steuerte den Nebenraum an. Doch sein niederländischer Kollege hielt ihn am Arm zurück.
»Ach, bevor ich es vergesse«, sagte er. »Sie können Ihrem Chef ausrichten, dass wir uns nach Kai van der Kraacht erkundigt haben. Der Mann ist nicht tot, wie Herr Hambrock vermutet hat. Er lebt in einer Sozialwohnung in
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