Das Geheimnis von Vennhues
nachdem man das Messer gefunden und Peter Bodenstein festgenommen hatte, war ihr in den Sinn gekommen, dass ich unschuldig sein könnte.«
Er blickte starr zu Boden. In Gedanken schien er einer längst vergangenen Zeit nachzuhängen.
»Vielleicht habe ich es mir in manchen Momenten sogar gewünscht, dass ihre Familie auseinanderbricht und wir zu zweit neu anfangen könnten. Aber Mia hat doch Willem über alles geliebt. Was wäre das denn für ein Leben gewesen? Eines, dessen Fundament auf Leid und Trauer gebaut gewesen wäre. Und auf Unrecht. Vor allem auf Unrecht.«
Hambrock hatte genug gehört. Auch wenn er sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte, so sagte ihm sein Gefühl doch, dass Kemper ebenfalls unschuldig war.
»Josef, wir müssen dich mit aufs Präsidium nehmen. Dort wird Frau Holthausen gemeinsam mit einem Kollegen diese und weitere Fragen noch einmal stellen. Nur wird dann ein Tonband mitlaufen.«
Kemper nickte. Er fügte sich nun ohne Widerstand.
»Nehmt ihr mich gleich mit? Dann hole ich meinen Mantel.«
»Ein Streifenwagen wird dich abholen. Es wird nicht lange dauern.«
»Also gut. Ich werde warten.«
Hambrock atmete durch, dann stand er auf und ging zur Tür.
»Eines solltest du jedoch bedenken, Bernhard.«
Er wandte sich um. Kemper stand wieder aufrecht, und in seinen Augen konnte Hambrock eine wiedererwachende Kraft erkennen.
»Ich habe nichts mit den Morden zu tun. Du kannst mir glauben oder nicht. Doch eines solltest du in jedem Fall tun.«
»Und das wäre?«
»Du solltest dir denjenigen genauer ansehen, der behauptet hat, mich am Mordabend am Prozessionsweg gesehen zu haben. Denn dort war ich nicht. Das schwöre ich.«
Heike ging mit Hambrock zu seinem Dienstwagen. Über ihren Köpfen bewegten sich die Windräder, und leise surrten die Rotoren.
»Willst du uns nicht nach Münster begleiten?«, fragte Heike.
»Nein, ich denke, ihr kommt allein mit ihm klar.«
Ein Auto jagte über die Schnellstraße und verschwand in Richtung Vennhues. Hambrock blickte dem Wagen hinterher.
»Ich werde ins Dorf fahren und bei Hermann Esking vorbeigehen«, sagte er. »Mal sehen, ob sich dort etwas Neues ergeben hat. Ich habe nicht das Gefühl, dass Kemper der Mann ist, den wir suchen.«
»Also gut«, sagte Heike. »Dann warte ich hier auf den Streifenwagen. Wir sehen uns später.«
Hambrock wollte gerade in seinen Wagen einsteigen, als ein lautes Hupen ertönte. Ein herannahender Kombi bremste auf der Schnellstraße ab. Das Fernlicht wurde mehrmals aufgeblendet, dann hielt der Wagen am Straßenrand. Es war seine Schwester Birgit. Sie kurbelte das Fenster herunter.
»He, Bernhard!«, rief sie. »Komm doch mal her.«
Er trat näher, winkte den Kindern durch das Rückfenster zu und beugte sich zu ihr vor.
»Kannst du für zwei Stunden auf die Kinder aufpassen?«, fragte sie.
Hambrock unterdrückte ein Aufstöhnen. Bitte jetzt nur das nicht!
»Birgit, das würde ich wirklich sehr gern, aber …«
»He, war nur Spaß! Ich wollte einfach sehen, wie du reagierst.«
Sie schob sich trotz des diesigen Novemberwetters die Sonnenbrille auf die Nase.
»Mir war vorher schon klar, dass ich nicht auf dich zählen kann«, fügte sie hinzu. »Du würdest die Kinder doch im Regen stehen lassen.«
»Birgit, vielleicht hast du es vergessen, aber ich bin mitten in einer wichtigen Mordermittlung, und da kann ich nicht …«
»Ach, stimmt. Deshalb wollte ich auch mit dir reden.«
Sie beugte sich über den Kindersitz und zog eine Fototasche aus dem Handschuhfach.
»Ich habe die Fotos abgeholt, die ich Allerheiligen auf dem Familientreffen geschossen habe.« Sie schob die Brille zurück in die Haare und öffnete die Fototasche. »Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst: Es handelt sich dabei um jenes Familienfest, bei dem du dich mit Erlend nach Holland abgesetzt hast und ich der Verwandtschaft erklären musste, warum sich der werte Herr Bruder wieder einmal zu fein ist für die Familie.«
»Birgit, bitte. Ich habe wirklich keine Zeit für solche …«
»Hier ist es!« Sie zog ein Foto heraus und reichte es durchs Fenster. Hambrock sah seine Eltern darauf, gemeinsam mit seiner Tante Hiltrud und ihren Söhnen. Sie standen am Friedhofstor. Das Foto musste nach der Andacht geschossen worden sein.
»Ich habe gehört, ihr sucht einen Wagen mit holländischem Kennzeichen, der nicht nach Vennhues gehört«, sagte Birgit.
Und im selben Moment erkannte Hambrock, was das Besondere der Aufnahme war. Hinter einer
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