Das Geheimnisvolle Haus : Kriminalroman
Sein Hemd war am Halse geöffnet, er hatte aber ein Halstuch umgebunden. Alle diese Einzelheiten konnte Poltavo durch seinen scharfen Feldstecher erkennen. Er war befriedigt.
Das war kein Mann, der ihn überlisten wollte. Poltavo hatte umfangreiche Vorsichtsmaßregeln getroffen. Auf den drei Wegen, die zu diesem Gelände führten, hatte er in gleichmäßiger Entfernung von seinem Standort drei Automobile aufgestellt. Er war auf alle möglichen Entwicklungen der Lage gefaßt. Wenn er fliehen mußte, konnte er ein Auto erreichen, welchen Weg er auch immer einschlagen mußte, und auf diese Weise konnte er einen großen Abstand zwischen sich und seine Verfolger bringen.
Der Mann kam näher. Poltavo prüfte ihn noch einmal hastig aus kurzer Entfernung und war zufrieden. Dann erhob er sich und ging dem Boten entgegen.
»Haben Sie einen Brief für mich?« fragte er.
Der Alte sah ihn argwöhnisch von der Seite an.
»Ihr Name?« fragte er rauh.
»Mein Name ist Poltavo«, sagte der Pole lächelnd.
Langsam faßte der Bote in seine Tasche und holte einen großen Briefumschlag hervor.
»Sie müssen mir aber erst etwas geben«, forderte er Poltavo auf.
Poltavo händigte ihm ein versiegeltes Paket ein und erhielt dafür den Brief.
Wieder blickte er den alten Mann lächelnd an. Abgesehen von dem langen weißen Bart und den grauen Haaren, die unter dem breitkrempigen Hut hervorquollen, hatte der Mann ein verhältnismäßig jugendliches Gesicht.
»Dies ist ein historischer Augenblick«, sagte Poltavo fröhlich. Er war in der glücklichsten Stimmung seines Lebens. Alle Hoffnungen, die sich an den Inhalt des Briefumschlages knüpften, der nun in seiner Tasche steckte, stiegen wieder vor seinem Geiste auf. »Nennen Sie mir doch Ihren Namen, lieber Freund, damit ich ihn behalte und gelegentlich einmal, nicht jetzt, auf Ihre Gesundheit trinken kann.«
»Mein Name ist T. B. Smith«, sagte der alte Mann langsam, »und ich verhafte Sie unter dem Verdacht der Erpressung.«
Poltavo sprang zur Seite. Sein Gesicht war aschgrau geworden. Er fuhr mit der Hand an seine Pistolentasche, aber bevor er seine Absicht ausführen konnte, hatte ihn der Detektiv gepackt. Zwei starke Arme, die hart wie Stahl zu sein schienen, ergriffen ihn, dann fiel er zu Boden, und Mr. Smith kniete auf ihm. Einen Augenblick war er durch den Schrecken wie gelähmt. Schnell nahm er sich wieder zusammen, aber es war schon zu spät, er fühlte etwas Hartes und Kaltes an seinen Handgelenken. Eine Hand packte ihn am Genick und riß ihn vom Boden auf, so daß er wieder auf seinen Füßen stand. Der Detektiv, dessen weißer Bart beim Kampf zerzaust worden war, machte eine komische Figur, aber Poltavo haue jetzt keinen Sinn mehr für Humor.
»Habe ich Sie doch erwischt, mein Freund?« fragte Mr. Smith vergnügt, während er seine Verkleidung abnahm und die graue Schminke von seinem Gesicht abwischte.
»Es wird Ihnen schwerfallen, mir etwas zu beweisen«, sagte Poltavo herausfordernd. »Wir sind allein, Sie und ich - und mein Wort gilt ebensoviel wie das Ihre. Was nun den Herzog von Ambury betrifft -« Mr. Smith lachte laut auf.
»Armer Mann«, erwiderte er nachsichtig, »es gibt überhaupt keinen Herzog von Ambury! Ich dachte mir, daß Sie im englischen Adel nicht Bescheid wüßten. Aber ich hätte nicht geglaubt, daß Sie so schnell in die Falle gehen würden. Die Herzogswürde von Ambury existiert seit zweihundert Jahren nicht mehr, der Titel wird nicht mehr verliehen. Die Briefe wurden von Ambury Castle an Sie adressiert - das ist eine kleine Vorstadtvilla in der Umgebung von Bolton, deren Miete etwa vierzig Pfund im Jahr beträgt. Wir Engländer haben doch eine größere Phantasie, als Sie uns zutrauen, mein lieber Graf«, fuhr er fort. »Sie spielt eine bedeutende Rolle bei den Namen, die unsere weniger bemittelten Mitbürger ihren Häusern geben.«
Er führte seinen Gefangenen quer durch das Hügelgelände.
»Was werden Sie mit mir anfangen?« fragte Poltavo.
»Ich bringe Sie zuerst zur Polizeistation in Great Bradley - von dort lasse ich Sie nach London überführen. Ich habe drei Haftbefehle für Sie, darunter zwei, die auf Ersuchen fremder Regierungen ausgestellt sind, aber ich glaube, die Leute müssen noch ein wenig warten, bis sie Sie wegen Ihrer alten Missetaten zur Rechenschaft ziehen können.«
Ihr Weg führte sie an Moor Cottage vorbei. Mr. Smith erwartete hier in einer Viertelstunde mehrere Polizeibeamte, denn er hatte seine Anordnungen genau auf
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