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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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überwältigte, trank sie einen
Schluck Wasser. Sie versuchte, nicht zu atmen, sich nicht zu
bewegen, sie wartete schließlich ungeduldig auf den Tod. So
verging eine lange Zeit. Als sie ihre Absicht beinahe erreicht
hatte, erschien ihre Großmutter Clara, die sie so oft angerufen
hatte, damit sie ihr sterben helfe, und sagte ihr, daß nicht sterben
die Gnade sei, denn sterben würde sie auf alle Fälle, sondern
überleben, das wäre das Wunder. Alba sah sie, wie sie sie in
ihrer Kindheit immer gesehen hatte, mit ihrem weißen
Leinenschlafrock, ihren Winterhandschuhen, ihrem sanften,
zahnlosen Lächeln und den schalkhaft blitzenden Mandelaugen.
Clara brachte sie auf die rettende Idee, ohne Bleistift und Papier
in Gedanken zu schreiben, um ihren Kopf zu beschäftigen, aus
dem Hundestall herauszukommen und zu leben. Sie regte sie
auch an, einen Bericht zu verfassen, der eines Tages als Zeugnis
dazu dienen könnte, das fürchterliche Geheimnis dessen, was sie
erlebte, zu lüften. Es sei gut, wenn die Welt erführe, welche
Greuel parallel zu dem friedlichen und geordneten Dasein
anderer geschahen, derer, die nicht wissen wollten, derer, die es
fertigbrachten, sich die Illusion von einem normalen Leben zu
bewahren, derer, die leugnen konnten, daß sie auf einem Floß
über ein Meer von Klagen fuhren, und die gegen alle Evidenz
nicht sahen, daß ein paar Häuser neben ihrer glücklichen Welt
die anderen waren, die, die auf der dunklen Seite überlebten
oder starben.
    »Du hast viel zu tun, also hör auf, dich zu bemitleiden, trink
Wasser und fang an zu schreiben«, sagte Clara zu ihrer Enkelin,
ehe sie verschwand, wie sie gekommen war.
    Alba versuchte ihrer Großmutter zu gehorchen, aber sobald
sie in Gedanken aufzuzeichnen begann, füllte sich der
Hundestall mit den Gestalten aus ihrer Geschichte, die
hereindrängten und sie in ihre Anekdoten, Laster und Tugenden
einwickelten, die sie, ihre dokumentarischen Absichten
niedertrampelnd und ihren Zeugenbericht über den Haufen
rennend, belagerten, bedrängten, zur Eile trieben, und sie
schrieb und schrieb, verzweifelt, weil jede fertig geschriebene
Seite erlosch, sobald sie die neue begann. Das Schreiben
beschäftigte sie. Anfangs verlor sie leicht den Faden und vergaß
in gleichem Maße, in welchem sie sich neuer Tatsachen
erinnerte. Bei der geringsten Ablenkung, einem winzigen Mehr
an Angst oder Schmerz, verwirrte sich ihre Geschichte. Aber
dann erfand sie einen Schlüssel, um sich der Reihenfolge zu
erinnern, und konnte sich damit so in ihren Bericht vertiefen,
daß sie aufhörte zu essen, sich zu kratzen, sich zu beriechen, zu
jammern, und es ihr gelang, ihre unzähligen Schmerzen einen
nach dem ändern zu überwinden. Es hieß, sie liege im Sterben.
Die Wärter öffneten die Falltür zum Hundestall und holten sie
ohne jede Anstrengung heraus, weil sie sehr leicht wog. Sie
brachten sie wieder zu Oberst Garcia, dessen Haß sich in diesen
Tagen erneuert hatte, aber Alba erkannte ihn nicht. Sie stand
jenseits seiner Macht.
    Von außen wirkte das Cristóbal Colón noch genauso banal,
wie ich es im Gedächtnis hatte: wie eine Elementarschule. Ich
wußte nicht mehr, wie viele Jahre vergangenen waren, seit ich
das letzte Mal dort gewesen war, und ich versuchte mich der
Illusion hinzugeben, daß mir derselbe Mustafa wie ehedem
entgegenkäme, um mich in Empfang zu nehmen, jener blaue,
wie eine Erscheinung aus dem Orient gekleidete Neger mit
seinen zwei Reihen Bleizähnen im Mund und der Höflichkeit
eines Wesirs, der einzige echte Neger in Chile, alle anderen
waren bloß angestrichen, wie mir Tránsito Soto versichert hatte.
Aber so kam es nicht. Ein Portier führte mich in ein sehr kleines
Zimmer, deutete auf eine Sitzgelegenheit und hieß mich warten.
Kurz darauf erschien statt des aufsehenerregenden Mustafa eine
Señora in blauer Uniform mit gestärktem weißen Kragen,
piekfein und traurig wie eine Tante aus der Provinz, die leicht
zusammenfuhr, als sie mich so alt und so schwach sah. Sie hielt
eine Rose in der Hand. »Der Herr kommt allein?« fragte sie.
»Natürlich komme ich allein«, rief ich.
     
Die Frau reichte mir die Rose und fragte mich, welches
Zimmer ich bevorzugte.
     
»Das ist mir gleich«, antwortete ich überrascht.
    »Der Stall, der Tempel und Tausendundeine Nacht sind noch
frei. Welches möchten Sie?«
»Tausendundeine Nacht«, sagte ich auf gut Glück.
Sie führte mich durch einen langen, mit grünen Lichtern

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