Das Geisterhaus
ihr
Körper sie bis in die letzte Fiber schmerzte.
»Bald wirst du dich besser fühlen«, sagte die Frau, die ihr
Gesicht streichelte und ihr einige Strähnen feuchten Haars aus
den Augen strich. »Rühr dich nicht und versuche dich zu
entspannen. Ich bleibe neben dir. Ruh dich aus.«
»Was ist geschehen?« lallte Alba.
»Sie haben’s dir schlimm gegeben, Genossin«, sagte die
andere traurig.
»Wer bist du?« fragte Alba.
»Ana Díaz. Ich bin seit einer Woche hier. Meinen Genossen
haben sie auch erwischt, aber er lebt noch. Einmal am Tag sehe
ich ihn, wenn alle auf den Abort geführt werden.«
»Ana Díaz?« murmelte Alba.
»Genau. Wir waren nicht gerade Freundinnen in der
Universität, aber besser spät als nie. Ehrlich gesagt, bist du die
letzte, die ich hier erwartet hätte, Gräfin«, sagte die Frau sanft.
»Sprich nicht, versuche zu schlafen, damit dir die Ze it nicht so
lang wird. Nach und nach kommt dir das Gedächtnis zurück,
mach dir keine Sorgen. Das kommt vom elektrischen Strom.«
Aber Alba konnte nicht schlafen, weil die Tür aufging und ein
Mann hereinkam.
»Leg ihr die Binde an«, befahl er Ana Díaz.
»Bitte…! Sehen Sie nicht, wie schwach sie ist? Lassen Sie ihr
ein bißchen Ruhe.«
»Tu, was ich dir sage.«
Ana beugte sich über die Pritsche und legte ihr die Binde über
die Augen. Dann nahm sie die Decke ab und versuchte Alba
anzuziehen, aber der Wärter stieß sie fort, zog die Gefangene an
den Armen hoch, bis sie saß. Ein zweiter Mann kam herein, um
ihm zu helfen, und zu zweit schleiften sie sie fort, weil sie nicht
gehen konnte. Alba war sicher, daß sie dabei war zu sterben,
falls sie nicht schon tot war. Sie hörte, daß sie durch einen Gang
gebracht wurde, auf dem die Schritte hallten. Sie fühlte eine
Hand an ihrem Gesicht, die ihren Kopf hob.
»Ihr könnt ihr Wasser geben. Wascht sie und gebt ihr noch
eine Spritze. Seht zu, daß sie einen Schluck Kaffee trinken kann,
und bringt sie mir.«
»Ziehen wir sie an, Oberst?«
»Nein.«
Alba war lange Zeit in den Händen Garcías. Binnen weniger
Tage war ihm klar, daß sie ihn erkannt hatte, dennoch
verzichtete er nicht auf die Vorsichtsmaßnahme, ihr die Augen
zu verbinden, sogar wenn sie nur zu zweit waren. Täglich
wurden neue Gefangene gebracht und wieder fortgeschafft. Alba
hörte die Fahrzeuge, die Schreie, das Schließen des Tors und
versuchte sich die Zahlen der Festgenommenen zu merken, aber
es war fast unmöglich. Ana Díaz kalkulierte, daß es ungefähr
zweihundert waren. Garcia war sehr beschäftigt, ließ aber
keinen Tag vergehen, ohne Alba zu sehen, wobei er zwischen
hemmungsloser Gewalttätigkeit und der Komödie des guten
Freundes abwechselte. Manchmal schien er aufrichtig gerührt zu
sein und löffelte ihr eigenhändig Suppe in den Mund, aber an
dem Tag, an dem er ihr den Kopf in eine Schüssel voll
Exkremente hielt, bis sie vor Ekel ohnmächtig wurde, begriff
Alba, daß es ihm gar nicht darum zu tun war, den Aufenthalt
von Miguel herauszubringen, sondern darum, Rache zu nehmen
für das Unrecht, das ihm seit seiner Geburt angetan worden war,
und daß sich ihr Los als Privatgefangene von Oberst Garcia
nicht ändern würde, was immer sie sagte. Dadurch konnte sie
nach und nach den privaten Umkreis ihrer Angst durchbrechen,
ihre Furcht ließ nach, und sie konnte Mitleid mit den anderen
empfinden, mit denen, die an den Armen aufgehängt waren, mit
den neu Angekommenen, mit jenem Mann, dem sie mit einem
Lieferwagen über die gefesselten Füße fuhren. Im
Morgengrauen holten sie alle Gefangenen auf den Hof und
zwangen sie zuzusehen, denn auch das war eine persönliche
Angelegenheit zwischen dem Oberst und seinem Gefangenen.
Es war das erste Mal, daß Alba die Augen außerhalb ihrer Zelle
aufschlug, und der sanfte Glanz des frühen Morgens und der
Rauhreif, der an den Pflastersteinen schimmerte, wo sich in der
Nacht Pfützen gebildet hatten, schienen ihr unerträglich hell. Sie
schleppten den Mann herbei, der keinen Widerstand leistete,
sich aber auch nicht auf den Füßen halten konnte, und ließen ihn
in der Mitte des Hofs fallen. Die Polizisten hatten sich
Taschentücher über die Gesichter gebunden, damit niemand sie
wiedererkennen konnte, für den unwahrscheinlichen Fall, daß
sich das Blatt wendete. Alba schloß die Augen, als sie den
Motor des Lieferwagens anspringen hörte, aber sie konnte die
Ohren nicht verschließen vor dem Aufheulen, das für immer in
ihrem Gedächtnis nachhallte.
Ana Díaz
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