Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
sein Oheim und dessen letzter Wunsch gewesen! Wenn er nur wüsste, wo er seine Suche beginnen sollte, er konnte sich ja schlecht vor das Stadttor in Wien stellen und alle Vorbeikommenden fragen: »Sind sie vielleicht der Nachkomme der Gräfin von Tirol?« Schlechter Einfall. Auf jeden Fall sollte er genauer Bescheid wissen über die hohe Dame. Was er bisher in Erfahrung bringen konnte, war ein wenig spärlich. Vor allem deshalb, weil jeder, den der junge Randegg aus seinem Bekanntenkreis fragte, sehr verschlossen wenn nicht sogar unhöflich reagierte. »Natürlich starb die Gräfin ohne Erben, was denn sonst? So eine Spinnerei!«, war noch die freundlichste Variante. Nach einigem Nachdenken war Sander auch der Grund dieser Schroffheit klar. Seine Familie, fest verwoben mit dem Schicksal der regierenden Habsburger, würden sich selbstredend eher die Zunge abbeißen, als Nachforschungen zu unterstützen, die einen Erben von Tirol zum Inhalt haben. Rudolf der Stifter, der Tirol endlich seinem Reich anschließen konnte, würde sich ja dreimal im Grabe umdrehen, wenn diese Besitzungen an einen anderen gingen, und seine Bemühungen und Verhandlungen letztendlich erfolglos geworden wären. Tirol und das Habsburgerreich waren eine Einheit, und das sollte auch so bleiben! Warum belasse ich es denn nicht dabei, dachte Sander und blickte sich um. Warum tue ich mir diese unangenehme Reise an, wenn ich sowieso auf verlorenem Posten stehe, wenn ich mit keiner Hilfe rechnen kann? Warum drehe ich jetzt nicht einfach um, dachte er weiter und nahm schon, wie zur Bestätigung seiner Gedanken, die Zügel fest in die Hand, um sie gleich darauf wieder lockerzulassen und sich seufzend einzugestehen: Weil ich es meinem Oheim schuldig bin. Die Wahrheit muss ans Licht. Was immer dieses Abenteuer für mich bedeuten wird, wen ich verletzen muss, wen ich beschäme, wen auch immer ich hoffe, zu finden. Ich muss es tun.
Voll neuem Tatendrang drehte er sich zu seinem Nebenmann: »Du, Luigi, seit wann reist du denn nach Wien?«
»Ach, schon über zwei Dutzend Jahre ist es her, als ich die ersten Gewürzsäcke nach Wien brachte und am Hof verschachern wollte. Da war ich noch grün hinter den Ohren und hab mich von den Wienern ganz schön anschmieren lassen! Alles was du dabei hast, musst du an einen Wiener Kaufmann verkaufen zu Billigstpreisen, der verkauft es dann zu Höchstpreisen weiter, und die Spanne steckt er ein. Stapel nennen sie das, ihr ureigenstes Recht. Wucher nenn ich das, aber so ist das eben. Mittlerweile bin ich schon gescheiter geworden.«
Sander, der die Gewürzgeschichten seines Reisebegleiters mittlerweile schon satthatte, wechselte schnell das Thema: »Also Luigi, du bist schon vor 20 Jahren in Wien gewesen. Hast du da vielleicht von einer Gräfin von Tirol gehört?«
»Die Margarete von Tirol und Görz meinst du?«
»Ja, die meine ich.«
»Die, die schon als Kind mit dem Bruder des böhmischen Kaisers Karl verheiratet wurde?«
»Ja, genau.«
»Die, die ihren Mann Johann Heinrich einfach rausgeschmissen hat und dann Ludwig den Brandenburger geheiratet hat?«
»Ja, Luigi, genau um die geht es.«
»Hat mit dem Brandenburger gelebt in wilder Ehe, ohne Genehmigung des Papstes.«
»Ja, hat sie«, Sander wurde schon ein wenig ungeduldig, zeigte es aber nicht, denn er wollte seinen Freund, der sich seiner Meinung nach besonders gern selbst reden hörte, nicht stören. Schließlich wollte er ja Auskünfte aus ihm herausholen und ihn nicht vergrämen. Also nickte er wissend und meinte so nebenbei: »Ja, das war sicherlich schwierig für die Frau …«
Wie erwartet sprang Ludwig sofort auf diese Meldung an: »Was heißt schwierig, die wurde gemieden, geächtet, verschmäht. Der Luxemburger, also der spätere Kaiser Karl belagerte Tirol, brannte Bozen und Meran nieder, und der Brandenburger regierte das Land daraufhin mit noch härterer Hand und ließ die Adeligen scharenweise abmarschieren. Das war nicht einfach mit der Margarete. Erst nach zehn vollen Jahren hat die Kurie den Kirchenbann aufgehoben! Zum Glück blieb die zweite Ehe nicht kinderlos.«
»Ach nein?«, Sander horchte unwillkürlich auf.
»Ja«, erzählte Ludwig weiter, »ein Sohn namens Meinhard. Der Erbe von Tirol.«
»Ach?«, fragte Sander scheinheilig und war sich sicher, auf eine Spur gestoßen zu sein.
»Starb gleich nach seinem Vater vor mehr als 20 Jahren«, stellte Ludwig nüchtern fest.
Sander seufzte gottergeben. »Wäre ja zu schön gewesen! Sonst
Weitere Kostenlose Bücher