Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
konnte die alte, aber noch taugliche Hundenase wahrscheinlich gut bei der Suche gebrauchen.
Unvermittelt fand sich Johanna allein mit Barbel in der Küche wieder. Das alte Kräuterweibel nickte der Köchin zu und meinte: »Ich werd jetzt auch gehen, Hannerl.«
»Is gut«, kam es müde zurück.
»Mach dir keine Sorgen.«
»Hast leicht reden, Barbel! Was einem Mädel in der Stadt alles passieren kann …«
»Aber geh. Weißt net, dass die wirklich reinen Jungfrauen einen ganz besonderen Schutz vom Herrgott haben, Hannerl?«
Augenzwinkernd verließ die Alte die Küche und ließ Johanna mit offenem Mund zurück. Zum ersten Mal fragte sich die Büßerin, ob an der Sache mit der Barbel und der Wahrsagerei nicht doch ein Körnchen Wahrheit war. Die hatte das Zweite Gesicht, die alte verrunzelte Schreckschrauben, wie sonst könnte sie Gretlin als Jungfrau bezeichnen!
*
»Ach Herrgott!« Sander schüttelte zornig den Kopf. Es ging einfach gar nichts weiter. »Luigi, sag, werden wir überhaupt noch in diesem Jahr nach Wien kommen, oder sollte ich mich darauf einrichten, den Winter hier in dieser Stadt des Markuslöwen zu verbringen?«
Ludwig, wie ihn seine deutschen Freunde, oder Luigi, wie ihn die Italiener nannten, schüttelte lachend den Kopf: »Alessandro, mein lieber junger Freund, hätte ich auch nur geahnt, dass du dich auf Reisen von einem charmanten jungen Mann in einen griesgrämigen Nörgler verwandelst, dann könntest du meinetwegen auf einem Maultier allein nach Wien reiten.« Ernsthafter meinte er dann: »Bis sich die ganze Handelsgesellschaft formiert hat, das dauert eben. Mehr als 100 Handelsherren mitsamt ihren Waren sind mit auf dem Treck. Also hab ein wenig Geduld.«
Statt einer Antwort knurrte Sander nur und sah auf die endlose Reihe vor und hinter sich. Menschen, Pferde, Lasttiere und Fuhrwerke, vollgestopft mit Waren aller Art, reihten sich auf der Brücke zwischen Festland und Lagunenstadt auf. Dabei war es immerhin schon ein Erfolg, wenn man schon in der Reihe stand. Alle, die hier abgekämpft und fertig zum Aufbruch lagerten, hatten bereits den Weg vom Fondaco dei Tedeschi, der deutschen Handelsniederlassung, hinter sich und die Räumung ihrer Warenlager ebenfalls. Unvorstellbar, dass sich dieser Moloch nun bereit machte, den uralten Handelsweg von Venedig nach Wien und weiter nach Brünn, Krakau und Kiew zu bestreiten. Ob das ein so guter Einfall war, sich einer Handelsgesellschaft anzuschließen, dachte Sander, und weiter, ob das wirklich so eine gute Idee war, dem Ansinnen seines Oheims, der damals schon mehr drüben als herüben weilte, nachzugeben? Sander schwitzte unter seinem Barett, sein Pferd, ein Falbe, das letzte Geschenk seines Oheims, tänzelte nervös und blähte die Nüstern. Missgelaunt stieg Sander kurzerhand ab, warf die Zügel seinem Diener, der nur zwei Schritte vor ihm stand zu und machte Anstalten, die Reihe vor sich abzuschreiten.
Amüsiert sah Ludwig dem Treiben seines jungen Freundes zu. Er selbst war die Ruhe in Person. Nach fast einem Dutzend Jahren, die er schon auf den meist römischen Straßen vom Süden hinauf in den Norden mit allen nur erdenklichen Gütern zugebracht hatte, war ihm die Ungeduld der Reisenden völlig fremd geworden. Es brauchte eben seine Zeit, bis Safran, Ingwer, Muskat, Nelken, Zimt und Zucker auf dem Weg waren, bis Olivenöl, Mandeln, Feigen, Zitronen und Orangen bereit waren, die Alpen zu überqueren, und bis Luxuswaren wie Korallen, Perlen, Edelsteine, Seidenstoffe, Samt, Brokat und Goldfäden dem kälteren Norden zustrebten. Da halfen keine Hast und keine Ungeduld! Luigi schüttelte sein schon bis auf einen schmalen Haarkranz kahles Haupt, streckte seine starken Arme einmal nach hinten, einmal nach oben, sodass seine nicht mehr so jungen Gelenke bedenklich knacksten. Dann richtete er sein Wams und überprüfte, ob die getriebene Silberschnalle des Gürtels auch wirklich in der Mitte seines recht ansehnlichen Schmerbauches saß. Beruhigt strich er mit seinen kurzen, dicken Fingern über die kleine Figur, die niemand Geringeren als den Heiligen Christophorus, den Schutzpatron aller Reisenden, in einer sehr wertvollen und gelungenen Arbeit darstellte. So beschützt konnte eigentlich nichts passieren, dachte er wie vor jeder Reise und blickte nach vorn, wo Sander erbost umherstampfte und jeden Mitreisenden mit einem finsteren Blick bedachte. Ob das wohl wirklich so eine gute Idee war, dachte Ludwig. Doch genau genommen hatte der erfahrene
Weitere Kostenlose Bücher