Das Geld - 18
ihr eigentlicher Inspirator. Daran änderte sich auch nichts, als der Elsässer Jules Feder im September 1878 Direktor der Union geworden war. Bontoux, 1820 geboren, von Haus aus katholischer und monarchistischer Tradition verpflichtet, war von Beruf Ingenieur, so wie Hamelin im Roman. Die verschiedenen Direktorenposten, die er bei der österreichischen Staatsbahn und der den Rothschilds gehörenden Südbahn bekleidete, vermochten weder seinen Ehrgeiz noch seine weitgesteckten Ziele zu befriedigen. Von Charakter ein unruhiger Geist mit hochfliegenden Plänen – und diese Charakterzüge fanden in der Gestalt Saccards ebenso ihren Widerhall wie in der Hamelins –, träumte er von einem großzügigen Eisenbahnnetz, das Österreich mit Ungarn und dem Balkan verbinden sollte. Zu den ökonomischen Zielstellungen kamen politische. Französisches Kapital sollte Österreich- Ungarn helfen, sich als »Verteidiger« der Christen des Balkans aufzuspielen. Doch als sich Bontoux mit seiner Wahl zum Abgeordneten in Frankreich selbst eine politische Karriere zu eröffnen schien, verließ er Österreich und die Südbahn und damit die Rothschilds und ging nach Paris.
Die Union Générale, an deren Spitze Bontoux nunmehr trat, hatte von Anfang an ein ganz bestimmtes politisches Gepräge. Sie stützte sich, wie Saccard im Roman, auf alle reaktionären Kräfte, Legitimisten und Orleanisten, und gab sich einen betont katholischen Anstrich. Ihre »Kunden« vor allem aus der Gegend um Lyon und aus der französischen Alpengegend waren die Vertreter des konservativen Adels, die Priester, aber auch die katholischen Kreise im Kleinbürgertum, kleine Händler, Kaufleute, Gewerbetreibende, Handwerker wie die Kunden der Universelle. Das blinde Vertrauen dieser Kreise in die neue Bank ermöglichte unter anderem ihr rasches Aufblühen.
Das Anfangskapital der Union von 25 Millionen wurde im Frühjahr 1879 auf 50 Millionen erhöht und im Januar 1881 ein zweites Mal verdoppelt, auf hundert Millionen. Die dritte Kapitalerhöhung, die für Januar 1882 vorgesehen war, kam durch den Bankrott der Bank nicht mehr zustande.
Die Bilanz, die bei der zweiten Kapitalerhöhung vorgelegt wurde, war nicht reell, sondern stützte sich auf künftige Gewinne. De facto stand das Kapital der Union nur auf dem Papier, ein Drittel der Aktien war überhaupt nicht gedeckt. Aber Bontoux verstand es, sich geschickt der Presse zu bedienen und sich immer wieder das Vertrauen seiner Klienten zu sichern. In diesen Einzelheiten des Geschäftsgebarens ist der Roman die exakte Transkription dieser Tatsachen.
Der Preis für die bei jeder neuen Emission in Umlauf gesetzten Kleinaktien von 500 Francs stieg durch die Erhöhung der Prämien von 520 (im Frühjahr 1879) über 675 auf 850 Francs für die letzte geplante Kapitalerhöhung im Januar 1882. Auch hierin folgt Zola genau seinem Vorbild. Um eine »Vollzeichnung« der Emissionen zu erreichen, bediente sich Bontoux, ebenso wie Saccard, der Hilfe von Strohmännern. Er ließ auch die eigenen Aktien an der Börse, aufkaufen, um die Kurse in die Höhe zu treiben, erklärte aber in der Sitzung am 5. November 1881, daß die Union nicht eine einzige eigene Aktie besitze, ein weiteres Detail, das Zola genau übernommen hat. So erreichte die Union, nach einer relativ räsonablen Steigerung ihres Aktienkurses im ersten Jahr auf 1480 Francs, im Dezember 1881 einen Kurs von 2800 Francs und am 5. Januar 1882 schließlich den Schwindelkurs von 3040 Francs.
Gestützt auf die günstige Anfangsentwicklung, war Bontoux darangegangen, seine großangelegten Pläne zu realisieren. Zu diesen gehörte vor allem die Gründung ausländischer Bankunternehmen wie der Österreichischen Länderbank, mit der Bontoux ganz erheblich die Interessen des Bankiers Rothschild traf, aber auch die Unterhaltung von Filialen in Rom und Konstantinopel, die Gründung von Bergbaugesellschaften in den Österreichischen Alpen, die Lancierung von Industrieunternehmen im Ural und in Kriwoi Rog und vor allem die Finanzierung von Eisenbahnen. Der Neubau von Eisenbahnen war das große zeitgemäße Investgeschäft, ebenso wie das Einsteigen in die Schwer- und Montanindustrie. Bontoux hatte durchaus ein Gespür für die zum damaligen Zeitpunkt richtigen Geschäfte. Doch die Unregelmäßigkeiten der Geschäftsführung, vor allem das Spekulieren mit den eigenen Aktien, mußte bei einer Finanzkrise unweigerlich zum Zusammenbruch führen.
Eine solche Krise gab es 1881. Der Markt war
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