Das Geld - 18
gründlich studieren.«
Die Affäre Mirès war ein berühmter Bankkrach aus dem Anfang der sechziger Jahre. Jules-Isaac Mirès hatte 1850 zunächst eine Aktienkasse gegründet, deren Kapital dem Handel mit Aktien dienen sollte, und dieses Unternehmen nach dem Staatsstreich und dem Aufkauf mehrerer Zeitungen beträchtlich erweitert und großangelegte Transaktionen getätigt. Er kaufte Eisenbahnen in Rom, Spanien und der Türkei, beteiligte sich an Kohlengruben, gründete Eisengießereien, sicherte sich die Konzession für die Gasbeleuchtung in einem Stadtviertel und dem Hafen von Marseille und? gab mit diesen weitverzweigten Unternehmungen seines Geldinstituts der Spekulation einen mächtigen Auftrieb. 1860 stand sein Unternehmen auf dem Höhepunkt, aber zugleich begannen durch das Ausbleiben erhoffter Gewinne, namentlich aus den römischen Eisenbahnen, die ersten Schwierigkeiten. In dieser prekären Situation führte die Klage eines ehemaligen Verwaltungsratsmitgliedes wegen Unregelmäßigkeiten der Geschäftsführung – und dieser Vorgang gewinnt fast die Gültigkeit eines Topos, denn er wiederholt sich als auslösendes Moment der Katastrophe auch bei der Union – zur gerichtlichen Verfolgung von Mirès und zum Zusammenbruch seines Finanzinstituts.
Der Charakter von Mirès hatte viele Gemeinsamkeiten mit den Charakterzügen, die Zola seiner fiktiven Gestalt, seinem Saccard, schon in der »Beute« gegeben hatte und die er in dem neuen Roman, sicher auch nach dem Vorbild dieses modernen Finanzmagnaten, verstärkte. Mirès lebte auf großem Fuß, als er auf der Höhe seiner Macht stand, sein Bankhaus besaß fürstliche Paläste, er hatte kühne Pläne, war energisch, lebhaft, mit einem Sinn für die notwendigen taktischen Schritte begabt und wußte sich geschickt der Macht der Presse zu bedienen – alles Einzelheiten, die wir bei Saccard wiederfinden.
Innerhalb des gleichen Zeitraums, in dem der Roman Zolas spielt, gab es im Kaiserreich noch eine andere Bankaffäre, die der Brüder Péreire. Emile und Isaac Péreire gründeten 1852 den Crédit Mobilier – der Zola schon in der »Beute« für Saccards Bankhaus als Vorbild gedient hatte – und eine Reihe von Tochtergesellschaften in Frankreich und im Ausland. Sie machten Rothschild im Eisenbahn- und Bankgeschäft Konkurrenz und erlagen während der Wirtschaftskrise 1866/67 und der damit verbundenen Baisse der Börsenkurse seiner Gegenattacke. In ihren typischen Stationen: Vervielfältigung der Kleinaktien, lärmende Reklame für neue Aktienemissionen, Korruption der Presse, Liierung mit großangelegten Eisenbahnunternehmen quer durch Europa und den Vorderen Orient, Gründung von Bankhäusern im Ausland usw., hätte diese Affäre ebensogut für die typischen Stationen in der Entwicklung der Banque Universelle Pate stehen können.
Die Brüder Péreire waren ebenso wie Mirès typische Vertreter der neuen Generation von Bankmagnaten, deren gesamtes Geschäftsgebaren in schroffem Gegensatz zu dem der alteingesessenen Bankhäuser mit einem riesigen Stammkapital, wie z.B. dem der Rothschilds, stand.
Der Baron Rothschild seinerseits war in einem Buch über die Börse, das Zola zur Vorbereitung durcharbeitete, ausführlich dargestellt worden. Dieses Buch, »Erinnerungen eines Kulissenmaklers« (1873), stammte aus der Feder von Ernest Feydeau. Die Schilderung Rothschilds aus der Erlebnissicht Feydeaus diente Zola als Vorbild für die Gestalt Gundermanns.
Doch der eigentliche Ablauf des Desasters der Banque Universelle Saccards wurde in Anlehnung an die historischen Vorgänge, den Krach der Union Générale, nachgezeichnet. Diese Vorgänge sind dank der Arbeit von Jean Bouvier, »Der Krach der Union Générale 1878-1885«, Presses Universitaires de France, Paris 1960, heute wissenschaftlich aufgearbeitet. Den Zeitgenossen waren sie vor allem aus der Tagespresse bekannt und aus der von dem Präsidenten der Bank, Eugène Bontoux, nach dem Zusammenbruch geschriebenen und veröffentlichten Arbeit »Die Union Générale, ihr Leben, ihr Tod, ihr Programm« (1888). Dieses Buch hat auch Zola benutzt, seine Kenntnisse aber offensichtlich noch durch andere Informationen ergänzt. Tatsache ist, daß Zola selten den realen Vorgängen so bis ins Detail getreu gefolgt ist wie in diesem Fall.
Die Union Générale wurde im Mai 1878 mit einem Anfangskapital von 25 Millionen gegründet wie Saccards Bank im Mai 1864. Im Juli wurde Eugène Bontoux Präsident des Verwaltungsrats und damit
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