Das Geloebnis
Auto –, und die Menschen kennen die Stärke und die Geheimnisse der Maschinen. Oh, sie können genug Flugzeuge machen, um die Erde damit zu bedecken!«
»Sonderbar, daß sie nicht in der Lage waren, uns ein paar zu senden«, fiel er bitter ein.
»Aber sie haben ja noch gar nicht angefangen!« rief sie. »Du verstehst das nicht – ein Volk, das so glücklich und wohlgenährt ist, kann nicht in einem Augenblick aufwachen. Es muß erst leiden und den Krieg am eigenen Leibe erleben …«
»Wir erleben ihn nun schon seit fünf Jahren. Sind wir für sie kein Fleisch und Blut?«
»Du mußt verstehen«, drang sie in ihn, »daß wir sehr weit von ihnen entfernt sind. Sie kennen uns nicht.«
»Werden sie uns helfen, wenn sie so weit von uns entfernt sind?« fragte er.
»Ich sage dir, sie werden uns helfen«, beharrte sie. »Du kennst sie nicht, aber ich kenne sie. Es wird in ihrem eigenen Interesse sein, uns zu helfen. Oder ist es etwa nicht in ihrem Interesse, unseren Boden für ihre Flugplätze zu benutzen, um den Feind anzugreifen? Aber du mußt ihnen Zeit zum Aufwachen lassen, du mußt ihnen Zeit lassen zu verstehen …«
»Sie haben Zeit genug gehabt«, entgegnete Sheng nüchtern. »Und können wir noch länger warten, wenn wir in wenigen Tagen westwärts marschieren, um auf fremder Erde zu kämpfen? Vielleicht ist es zu spät, wenn sie sich ihre Zeit zum Erwachen genommen haben. Nein, ein paar Flugzeuge mögen uns jetzt ganz und gar retten, und tausend sind nutzlos, wenn es zu spät ist.«
Als sie darauf nicht antwortete, fügte er hinzu: »Ich spreche als Soldat.«
»Und doch«, sagte sie nach einer kleinen Weile, »Soldaten sprechen nicht immer mit wirklicher Klugheit. Denn ihr denkt an Schlachten, und ein Krieg besteht nicht nur aus Schlachten.«
»Woraus denn sonst?«
In diesem Moment warf der kleine Hund sein Köpfchen auf, schloß die Augen und heulte. Beide unterbrachen ihre Unterhaltung und blickten auf das Tier.
»Was hört dieser Hund, das wir nicht vernehmen?« fragte Sheng. Er sah zum Himmel auf und rings im Hof umher.
»Horch!« flüsterte Mayli.
Sie lauschten und vernahmen das anschwellende Geheul einer Sirene.
Sheng sprang auf die Füße. »Der Feind!« schrie er.
Während der ganzen Zeit, seit Mayli sich in Kunming aufhielt, waren keine gegnerischen Flugzeuge über der Stadt erschienen. Sie hatte von früheren Luftangriffen reden hören, und sie konnte die Trümmer sehen, die daraus entstanden waren, aber das bedeutete kein eigenes Erlebnis für sie. Wenn sie in ein Geschäft ging und ein zerbrochenes Dach gewahrte oder eine Mauer, die noch immer ein Geröllhaufen war, erzählte ihr der Ladenbesitzer unter Umständen mit aller Ausführlichkeit, wie er und seine Familie dem Schrecken entronnen und wie dieser und jener seiner Nachbarn getötet oder verstümmelt war, doch auch dies bedeutete kein eigenes Erleben für sie.
Das Geräusch wurde lauter und lauter, und das Hündchen geriet in eine Ekstase der Qual. Winselnd preßte es sich an den Boden.
Liu Ma kam herausgerannt; sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. »Wohin sollen wir nun gehen?« schrie sie. »Großer Soldat, denkt für uns … macht Euch nützlich … wir sind nur zwei Frauen!«
Sheng lief zum Tor und riß es auf. Auf der Straße rannten die Leute schon, einige hierhin, etliche dorthin. Die Ladenbesitzer setzten die Bretter vor ihre Häuser, als ob es Nacht wäre. Er hörte, wie Türen zugeschlagen und Riegel vorgeschoben wurden.
»Wenn wir nur außerhalb der Stadt wären!« rief er über die Schulter. »In der Stadt ist man wie in einem Pferch!« Es fiel ihm ein, wie ihm, als die ersten Bomben auf die Stadt nahe seines Vaters Dorf niedergefallen waren, beim Anblick der zusammengepreßten Männer und Frauen und Kinder, der Klumpen von Fleisch, Knochen, Blut und Hirnmassen übel geworden war. Aber Mayli rührte sich nicht von der Stelle. Sie konnte nicht fürchten, was sie noch nicht erlebt hatte.
Dann überlegte er rasch. Die Entfernung zum Südtor betrug ungefähr anderthalb Kilometer. Wenn die Tore nicht verschlossen waren, konnten sie vielleicht das offene Land erreichen, bevor der Feind kam. Außerhalb des Tores konnten sie im Bambusgehölz Zuflucht suchen. Wenigstens konnten dort keine Dachbalken und kein schweres Mauerwerk auf sie fallen und sie zerschmettern. Dort bestand einzig die Möglichkeit, daß eine Bombe auf sie niederfiel.
»Kommt!« schrie er. Die beiden Frauen liefen auf ihn zu. Aber
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