Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
Vom Netzwerk:
aus, als wollte sie ihm entfliehen. Denn auch dieses eine Mal wagte sie nicht, es auf seine Macht über sie ankommen zu lassen. Er durfte sie nicht anrühren.
    Ein paarmal schritt sie in dem kleinen Hof auf und ab, gefolgt von dem Hündchen, das sich, noch immer zitternd, mühsam aufgerichtet hatte. Dann blieb sie stehen, und sie setzte sich an den Rand des Teiches, die Hände um die Knie geschlungen. Sie schaute nicht zu ihm auf, aber er konnte den Widerschein ihres Antlitzes in dem unbewegten Wasser des Weihers sehen. Er betrachtete dieses klare Spiegelbild. Da es Winter war, gab es keine Seerosenblätter, und der Teich war ein ungetrübter Spiegel unter dem Himmel.
    Liu Ma kam heraus, die Unterlippe weit über die Oberlippe vorgeschoben; sie setzte das Tablett, welches sie trug, auf den Gartentisch neben dem Porzellanstuhl. Sie schenkte den Tee aus einer blau-weißen Kanne in die Schalen, und um zu zeigen, daß sie das Beisammensein der beiden mißbilligte, händigte sie ihnen ihre Schalen nicht aus, sondern kehrte in die Küche zurück. Gleich darauf quoll der rasche Rauch eines mit Gras gespeisten Feuers aus dem niedrigen Kamin und hing wie eine Wolke über dem Hof.
    Mayli lachte. »Liu Ma hofft, daß der Rauch dich ersticken wird«, sagte sie zu Sheng.
    »Ich bin viel zu gut zu dem alten Weib«, versetzte er hitzig. »Ich gab ihr sehr oft eine Silbermünze, um mir hier leichter Einlaß zu verschaffen.«
    »Sie ist alt«, beschwichtigte Mayli, »und sie liebte meine Mutter. Sie findet, daß ich nicht gut genug bin, um meiner Mutter Tochter zu sein. Sie findet mich zu fremdartig.«
    »Vielleicht bist du das auch«, gab Sheng zurück.
    Er sah, wie das hübsche Bild im Wasser den Kopf schüttelte, und dann sah er das widergespiegelte Gesicht ernst werden.
    »Was bedeutet es heutzutage, ob man fremdartig ist oder nicht?« erklärte sie. »Jedenfalls ist es unvernünftig, etwas – oder jemand – zu hassen, nur weil es fremdartig ist. Wir würden uns besser fragen, ob wir uns nicht mit den stärksten Völkern der Welt verbünden sollen, und das sind noch immer die Völker von Ying und Mei.«
    »Sind sie so stark?« fragte er. »Wieso haben die Zwerge sie so leicht geschlagen? Uns aber haben sie noch nicht geschlagen, obwohl wir alle diese Jahre mit ihnen kämpfen.«
    »Nimm ein Blendwerk nicht für einen Sieg«, entgegnete sie. »Ich kenne die Menschen von Mei so gut! Es ist ganz leicht zu glauben, daß der Feind sie überlistet hat. Sie sind so reich, so sehr an ihr eigene Schlauheit und Macht gewöhnt, daß sie niemals annehmen würden, jemand könnte sie überlisten. Aber jetzt werden sie in ihrer Wut doppelt so wild und zehnmal so schlau sein. In einem Tag haben sie gelernt, was sie in einem gewöhnlichen Krieg erst in einem Jahr gelernt hätten.«
    »Für uns ist es schlimm, daß wir die Lehre ebenfalls bezahlen müssen«, sagte Sheng grimmig. »Mit einigen dieser Luftboote, die in ein bis zwei Stunden zerstört wurden, hätten wir den Feind aus unserem Lande treiben können. Nicht nur sie waren die Verlierer.«
    Mayli tauchte ihre Hand in den Teich und rührte das Wasser sanft in kleinen Kreisen auf. »All das ist wahr«, räumte sie ein. »Und doch, wenn ich zurückdenke … Ich weiß, daß sie nicht verlieren können … nein, was auch geschehen sein mag und was immer geschehen wird, sie werden zum Schluß die Sieger sein, und deshalb müssen wir zu ihnen stehen.«
    »Woran denkst du zurück?« erkundigte er sich. Der Tee wurde kalt in den Schalen, aber keiner von ihnen achtete darauf. Das Hündchen, das auf dem zusammengefalteten Tuch gelegen hatte, erhob sich jetzt und winselte neben seiner Herrin, doch hörte sie es nicht. Sie ließ die Hand im Wasser ruhen, während sie zurückschaute, und obwohl sie über den Hof blickte, sah sie nur, was sie in der Rückschau erlebte.
    »Es ist das schönste Land«, sprach sie. »Ich liebe es nicht wie mein eigenes Land, und doch kann ich das sagen. Große Straßen ziehen sich über Hügel und Berge, durch Wüsten und Ebene. Die Wohnstätten sind so sauber, und die Menschen sind so sauber und wohlgenährt. Auch die Bauernhäuser auf dem Lande sind sauber, und es gibt keine Bettler mit Schwären und keine hungrigen Hundemeuten. Die Wälder sind tief, und die Flüsse sind klar …«
    »Damit gewinnt man keinen Krieg«, unterbrach er sie streng.
    »Nein, aber da sind die Fabriken«, fuhr sie rasch fort. »Die Fabriken stellen Schiffe und Autos her – jeder hat ein

Weitere Kostenlose Bücher