Das Geloebnis
Geschöpf aus dem Wasser. Aber jetzt konnte sie es nicht mehr an ihr Seidenkleid pressen, und so rief sie nach Liu Ma, worauf die Alte angerannt kam.
»Hol ein Tuch«, befahl sie der Alten. »Schau, was Sheng getan hat – er warf meinen kleinen Hund ins kalte Wasser.«
Aber diesmal stellte sich die Alte nicht auf die Seite ihrer Herrin. »Laß ihn an der Sonne trocknen«, sagte sie kühl. »Ich habe zu tun und kann mir nicht die Zeit nehmen, einen Hund abzutrocknen.«
»Die alte Frau ist klug«, bemerkte Sheng.
Aber Mayli lief selber ein Tuch holen, während der Hund zitterte und betrübt zu Sheng hinüberäugte. Dann rieb Mayli das Tier trocken und bettete es auf das Tuch, das sie zuerst auf einem von der Sonne erwärmten Stein gefaltet hatte.
Die ganze Zeit sah Sheng ihr zu, wie sie sich so geschmeidig und zielbewußt und anmutig bewegte. Sie war so fremdartig, dachte er, als hätte sie nicht das Blut ihres Volkes in den Adern. Zum erstenmal dünkte es ihn, daß es vielleicht unklug von ihm war, sie zu lieben, und daß er im Falle einer Heirat daheim ebenso den Krieg erlebte wie auf dem Schlachtfeld.
»Ich kam her, um dir mitzuteilen, daß ich mit dem Heer nach Burma ziehe«, sagte er.
Bei diesen Worten vergaß sie das Tier; sie blieb erstarrt stehen, wo sie sich gerade im Hof befand, und das Sonnenlicht fiel auf ihr grünes Kleid und ihre Haare. Er stand unter der Tür und betrachtete sie.
»Wann gehst du?« fragte sie.
»In einigen Tagen«, erwiderte er. »In zwei oder drei – spätestens in vier Tagen.«
Sie ließ sich auf einem porzellanenen Gartenstuhl nieder und blickte zu ihm auf. Die Sonne schien auf ihre zarte, glatte Haut nieder, und er gewahrte jedes Haar ihrer langen, geraden Wimpern, schwarz gegen die blasse Haut, und er gewahrte jedes Haar der schmalen, langen Brauen über den Augen. In ihre Augen schaute er, und das Weiße war weiß, und das Dunkle grenzte sich deutlich davon ab. Aber wie er jetzt in das Dunkel ihrer Augen sah, da entdeckte er helle Flecken darin.
»Du hast Gold in den Augen«, bemerkte er. »Woher kommt es?«
»Sprich nicht von meinen Augen«, entgegnete sie. »Sag mir, warum beschlossen worden ist, daß du so rasch fortgehst?«
»Es dünkt uns nur rasch«, gab er zurück. Er trat hinaus, zog den Stuhl heran, auf dem Liu Ma schlafend gesessen, und ließ sich ebenfalls nieder. Der kleine Hund kroch, noch immer zitternd, näher zu seiner Herrin und fort von ihm, aber keiner von beiden dachte jetzt an das Tier.
»Es ist schon seit Wochen davon gesprochen worden«, berichtete er. »Mein General ist dagegen. Aber der Allerhöchste ist dafür. Und wenn er ›Ja‹ sagt, wessen ›Nein‹ wäre dann stark genug, um das Gegengewicht zu geben? Wir gehen.«
Die Worte ›Wir gehen‹ sagte er so fest, und sein Gesicht war dabei so streng und düster, daß Mayli schwieg. Sie betrachtete ihn, und jählings wurde ihr klar, wie ihr Leben sein würde ohne diesen Mann, mit dem sie bei jedem Zusammentreffen stritt. Aber wann hätte sie sich jemals ein ruhiges Dasein gewünscht?
»So gehen wir also, um uns mit Weißen zu verbünden«, sagte Sheng.
»Warum ist dein General dagegen?« erkundigte sich Mayli.
Sheng griff nach dem Bambuszweig über seinem Kopf und riß ein Blatt ab, das er zerpflückte, während er sprach, und sie beobachtete nicht mehr sein Gesicht, sondern seine Hände, die sich mit gesammelter Kraft bewegten. Das Ding, das sie zerfetzten, war klein und nachgiebig, aber er riß es mit Bedacht in Stücke. Seine Hände waren schön geformt wie die Hände aller in diesem Land, sogar die Hände der Bauernsöhne.
Er blickt sie nicht an. Statt dessen verfolgte er die grünen Fetzchen, die von seinen Fingern fielen. »Mein General sagt, es stehe schon geschrieben, daß die Weißen Mißerfolg haben werden«, erklärte er.
»Oh, wieso?« fragte sie. Ihr Geist flog übers Meer zu dem Land, wo sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, und vor ihrem ersten Geburtstag hatte ihr Vater sie mit nach Amerika genommen. Die ersten Worte, die sie gesprochen, gehörten der Sprache jenes Landes an, und sie wurden ihr von einer dunkelhäutigen Frau beigebracht, die ihre Pflegerin war. Die chinesische Pflegerin, die ihr Vater mitgenommen hatte, damit sie für Mayli sorgte, war schon nach der Überfahrt so heimwehkrank geworden, daß er sie zurückschicken mußte. Und jetzt dachte Mayli an die großen Städte und Fabriken und die
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