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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Klatschbewegung.
    »Lasst uns ein weiteres Lied hören!«, verkündete der Geliebte Führer.
    »Nein«, entgegnete der Senator. »Zuerst unsere Staatsbürgerin.«
    »Mein Eigentum!«, sagte der Geliebte Führer.
    »Rückversicherung!«, sagte Tommy.
    »Rückversicherung, Rückversicherung!«, sagte der Geliebte Führer. Er fragte Kommandant Ga: »Kann ich deinen Fotoapparat ausleihen?«
    Das Lächeln auf dem Gesicht des Geliebten Führers jagte Ga erneut einen Schrecken ein. Er zog die Kamera aus der Tasche und reichte sie dem Geliebten Führer, der durch die Menschenmenge hindurch zu seinem Auto ging.
    »Wo will er hin?«, fragte Wanda. »Geht er weg?«
    Der Geliebte Führer stieg hinten in den schwarzen Mercedes ein, der sich aber nicht in Bewegung setzte.
    Dann piepte das Handy in Wandas Tasche. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, als sie auf das Display schaute. Sie zeigte dem Senator und Tommy das Bild. Ga streckte die Hand nach dem kleinen, roten Mobiltelefon aus. Wanda gab es ihm, und da war das Foto von Allison Jensen, dem Rudermädchen, auf dem Rücksitz eines Autos. Ga nickte Wanda zu und ließ das Telefon vor ihren Augen in seiner Tasche verschwinden.
    Der Geliebte Führer kam zurück und bedankte sich bei Ga für den Fotoapparat. »Genug Rückversicherung?«, fragte er.
    Der Senator gab ein Handzeichen, und zwei Gabelstapler kamen im Rückwärtsgang aus dem Frachtraum des Flugzeugs gefahren. Im Tandem transportierten sie den japanischen Detektor für Hintergrundstrahlung in einer riesigen Transportkiste ins Freie.
    »Aber Sie wissen ja, dass er nicht funktionieren wird«, meinte der Senator dazu. »Den haben die Japaner gebaut, um kosmische Hintergrundstrahlung zu messen, nicht Uran-Isotope.«
    »Da sind leider alle meine führenden Wissenschaftler anderer Meinung«, widersprach der Geliebte Führer. »Darin stimmen sie überein.«
    »Einhellig«, sagte Kommandant Park.
    Der Geliebte Führer winkte ab. »Aber lasst uns doch ein andermal über unsere gemeinsame Verantwortung als Nuklearmächte sprechen. Jetzt hören wir erst einmal den Blues.«
    »Aber wo ist unser Rudermädchen?«, fragte Sun Moon ihn leise. »Ich muss doch für sie singen. Für sie sollte ich doch das Lied komponieren.«
    Der Geliebte Führer verzog ärgerlich das Gesicht. »Deine Lieder gehören mir. Du singst für mich allein«, wies er sie zurecht.
    An die Amerikaner gewandt verkündete der Geliebte Führer: »Mir wurde versichert, dass der Blues das kollektive Gewissen der Amerikaner ansprechen wird. Mit dem Blues beklagen die Menschen Rassismus und Religion und die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus. Blues ist die Musik derer, die den Hunger kennen.«
    »Jeder sechste«, soufflierte Kommandant Park.
    »Jeder sechste Amerikaner geht abends hungrig zu Bett«, sprach der Geliebte Führer. »Im Blues geht es auch um Gewalt. Kommandant Park, wann wurde in Pjöngjang zum letzten Mal ein Gewaltverbrechen verübt?«
    »Vor sieben Jahren«, antwortete Kommandant Park.
    »Vor sieben langen Jahren«, sagte der Geliebte Führer. »Doch in der amerikanischen Hauptstadt schmachten fünftausend Schwarze wegen Gewalttaten im Gefängnis. Dabei werden Sie um Ihr Gefängnissystem ja von aller Welt beneidet, Senator – modernste Haftanstalten, totale Überwachung, und das bei drei Millionen Insassen! Doch Sie nutzen sie nicht für das gesellschaftliche Gemeinwohl. Die Haftstrafe des Verurteilten ist dem freien Bürger keine Inspiration, und der Sträfling trägt nicht mit seiner Arbeitskraft zum gesellschaftlichen Fortschritt bei.«
    Der Senator räusperte sich. »Wie Dr. Song sagen würde: Äußerst aufschlussreich.«
    »Was, Sie haben schon genug von ein bisschen Sozialtheorie?« Der Geliebte Führer nickte vor sich hin, als habe er mehr von seinen amerikanischen Besuchern erwartet. »Dann lassen Sie mich vorstellen: Hier ist Sun Moon!«
    Sun Moon kniete sich auf den blanken Beton des Rollfelds und legte die Gitarre vor sich auf den Boden. Sie starrte sie schweigend hinab auf das Instrument , als warte sie darauf, dass eine Eingebung angeflogen kam.
    »Sing«, flüsterte Kommandant Park. Er stieß ihr die Stiefelspitze ins Gesäß, sodass Sun Moon erschrocken nach Luft schnappte. »Sing«, zischte er.
    Brando knurrte und zog an seiner Leine.
    Mit den Fingerspitzen und einer Uhufeder zupfte Sun Moon einzelne Noten auf dem Gitarrenhals. Kein Ton harmonierte mit dem nächsten; jeder einzelne klang unheimlich und allein.
    Schließlich stimmte sie einen

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