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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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Haus hinterm Deich mit hinübergenommen? Und die Stimme von deiner blonden Braut? Hörst du die Dampfer noch tuten auf der Elbe – riechst du noch das Meer?

    Oh, du warst so voll Leben, daß du nicht tot sein kannst – ich weiß, daß du lebst.

    – Sonne und Erde – sagtest du, wenn du an einer Blume rochst – Und nun wirst du selbst wieder Erde sein und die Erde wird voll Sonne sein. Die Blumen, die im Frühling aus deinem Grab wachsen, werden nach Erde und Sonne duften – und ich werde denken, daß du mich ansiehst, wenn ich vor ihnen stehe und Zwiesprache mit dir halte.

    Und dann will ich dir von dem Meer erzählen, das zu Hause noch immer vor den Deichen rauscht – und von dem Mädchen und einem blonden Jungen.

    Und dann heißt es wieder: fertigmachen – und ich muß dich allein in der fremden Erde lassen und ringsum ist wieder die Schlacht!

    Aber als in der grausamen Nacht die Angst und die Verzweiflung ihre Finger nach mir ausstreckten, da fühle ich, daß du bei mir bist und mir beistehst. Da gelobe ich dir, daß ich aushalten will – für dich. Denn in mir bist du – du warstmein Bruder und hattest den heiligen Glauben an das ewige Leben. Du mußtest darum sterben – wir wollen, wenn es uns vergönnt ist, dafür kämpfen und leben!

    Und als es in der Frühe tagt, sitzt auf dem Helm, den wir dir auf das Birkenkreuz taten, ein kleiner grauer Vogel und singt –

    Und ganz weit im Osten geht groß die Morgensonne auf.

Das Brot
    Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.
    Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, daß er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hochkroch. Und sie sah von dem Teller weg.
    «Ich dachte, hier wäre was», sagte er und sah in der Küche umher.
    «Ich habe auch was gehört», antwortete sie und dabei fand sie, daß er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
    «Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.»
    Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, daßer log. Daß er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
    «Ich dachte, hier wäre was», sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, «ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.»
    «Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.» Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
    «Nein, es war wohl nichts», echote er unsicher.
    Sie kam ihm zu Hilfe: «Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.»
    Er sah zum Fenster hin. «Ja, das muß wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.»
    Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muß das Licht jetzt ausmachen, sonst muß ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. «Komm man», sagte sie und machte das Licht aus, «das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.»
    Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
    «Wind ist ja», meinte er. «Wind war schon die ganze Nacht.» Als sie im Bett lagen, sagte sie: «Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.»
    «Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.» Er sagte

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