Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
Vom Netzwerk:
Matthäus-Pyramidon steht da drauf. Bezahlen müssen wir alle, sagt er und hält seine Hand auf. Und ich gebe ihm 57 Mann. Aber wohin fahren wir denn? frag ich die andern. Wir müssen doch wissen: wohin? Da sagt Timm: Das wissen wir auch nicht. Das weiß keine Sau. Und alle nicken mit dem Kopf und grummeln: Das weiß keine Sau. Aber wir fahren. Tingeltangel, macht die Klingel der Straßenbahn und keiner weiß wohin. Aber alle fahren mit. Und der Schaffner macht ein unbegreifliches Gesicht. Es ist ein uralter Schaffner mit zehntausend Falten. Man kann nicht erkennen, ob es ein böseroder ein guter Schaffner ist. Aber alle bezahlen bei ihm. Und alle fahren mit. Und keiner weiß: ein guter oder böser. Und keiner weiß: wohin. Tingeltangel, macht die Klingel der Straßenbahn. Und keiner weiß: wohin? Und alle fahren: mit. Und keiner weiß – – – – und keiner weiß – – – – und keiner weiß – – – –

Liebe blaue graue Nacht
    Verstreute und nachgelassene Erzählungen

Requiem für einen Freund
    Wir marschieren. Wir marschieren bei Tag und wir marschieren bei Nacht. Wir schlafen bei Tag, wir schlafen bei Nacht. Sie schießen bei Tag, sie schießen bei Nacht. Sie schießen – sage ich, denn das eigene Schießen hören wir nicht mehr, nur das Schießen der anderen.

    Die Stunden versinken wie Segelschiffe am blutigen Horizont des Himmelsmeeres. Die Sonne stirbt und mit ihr stirbt der Tag.

    Manchmal steht die Zeit still – und dann lastet es mit ihrem ganzen grausamen Gewicht auf unsern müden Gesichtern. Gespenstisch und grau wie Krähen blicken wir aus der Dämmerung in die Dämmerung und wir warten, daß es tagt.

    Wir schweigen viel und reden wenig. Nur manche lachen viel zu laut. Aber wir Schweigenden sind voll Leben!

    Und dann vergaß ich es nie, wie du nach tagelangem Marsch in dem zerschossenen Haus die kleine verschrumpfte Kartoffel aus der Asche nahmst, wie man eine kostbare Frucht, einen Pfirsich, nimmt und voll Andacht ihren Geruch atmetest. – Erde und Sonne – sagtest du, und draußen waren es 48 Grad Kälte.

    Und da ist ein Kind, das Asja heißt und das dich traurig ansieht – doch du siehst durch die dunklen Seen ihrer Augenhindurch ein lichtes blondes Mädchen. Du fühlst das bedeutsame Tasten seiner Hände auf deinem Haar und findest einen Sinn in all dem scheinbar so Sinnlosen. Aber da murmelte sie plötzlich: Fertigmachen.

    Immerzu sinkt der Schnee auf die toten Pferde am Wege und wir sprechen von Blumen – aber alles will erstarren in Kälte und Eis.
    Vielleicht auch unsere Herzen.

    – Mal wieder in einem warmen Sommerregen gehen dürfen und den Duft der Linden riechen – sagt einer.

    Und der Löwenzahn, die Rosen und die Sonnenblumen senken still ihre Köpfe – wie die Mädchen, die um uns Einsame wissen.
    Und dann ist es wieder alles Schnee – dieser grausame Schnee.

    Da ragt bittend und klagend eine tote Hand in den Abendhimmel.
    Doch unser Mitleiden ist eingefroren und einige grinsen: Er lädt uns ein, der große Teufel, in seine Hölle. Und sie meinen den Tod – und bevor es morgen wird, hat eine andere Hand sie still genommen und in den Himmel geführt. Wirklich in den Himmel? Oder nur in das Nichts?

    Und dann liegen wir, einer neben dem anderen, spüren seinen Atem und sind dankbar, daß er lebt.

    Plötzlich brüllen die berstenden Bomben ringsum – und wir kauern uns wie die Tiere in den Schnee, klammern uns an die zitternde Erde, die wir nicht lassen wollen.

    Es können nicht dieselben Sterne sein wie in der Heimat, die jetzt so still und teilnahmslos über unserer Not stehen – weiß und fremd und kalt.

    – Morgen kommt vielleicht Post von zu Hause – denke ich. Da brüllt wieder das Eisen sein tödliches Lied und Blut sickert in den Schnee.

    – Zu Hause – sagst du und das ist dein letztes Wort. Dann geht deine Seele mit dem Wind, der abends um euer Haus flüstert und im Gebälk knistert – und deine Augen suchen den Himmel …

    Wo ist Gott – schreien die Granaten!

    Wo ist Gott – schweigen die Sterne! Wo ist Gott – beten wir!

    Gott ist das Leben und Gott ist der Tod – sagtest du immer.

    Bist du nun bei Gott?

    Ich sitze auf deinem Grabe – Hunger und Kälte betäuben den Schmerz um dich nicht – und die Tränen sind eingefroren.

    Aber vielleicht bist du glücklich? Denn du bist wieder eingereiht in den großen unendlichen Kreis, den Reigen, in dem es keinen Tod gibt: Denn es gibt nur das ewige Leben.

    Hast du das Bild von dem

Weitere Kostenlose Bücher