Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
Vom Netzwerk:
Marguerite.
    Mehr wußte ich nicht. Und das war Marguerite nicht genug:
    Gut! Sehr gut! Weißt du, was ich jetzt tue?
    Ich wußte es natürlich nicht.
    Jetzt geh ich in mein Zimmer und wasch mir mein Gesicht.Das ganze Gesicht. Ja. Und dann mach ich mich schön und suche mir einen neuen Liebling! So! Ah oui!
    Dann war sie von der Dunkelheit aufgefressen. Weg, aus – für immer.

    Als ich allein den Weg zu den Kasernen machen mußte, hätte ich am liebsten geweint. Ich versuchte es. Ich hielt meine Hände vors Gesicht. Sie hatten einen heimlichen Geruch: Frankreich. Und ich dachte, daß ich meine Hände heute abend nicht mehr waschen würde.
    Das Weinen kam nicht zustande. Es lag an den Stiefeln. Sie knarrten bodenlos gemein bei jedem Schritt:
    Mon petit chou – mein kleiner Kohl – mein kleiner Kohl – – –
    Du Riesenkohlkopf, feixte ich den Mond an. Er war unverschämt hell. Sonst hätte die Streife das gar nicht merken können. Das mit dem Tuschkasten.

Die traurigen Geranien
    Als sie sich kennenlernten, war es dunkel gewesen. Dann hatte sie ihn eingeladen und nun war er da. Sie hatte ihm ihre Wohnung gezeigt und die Tischtücher und die Bettbezüge und auch die Teller und Gabeln, die sie hatte. Aber als sie sich dann zum erstenmal bei hellem Tageslicht gegenübersaßen, da sah er ihre Nase.
    Die Nase sieht aus, als ob sie angenäht ist, dachte er. Und sie sieht überhaupt nicht wie andere Nasen aus. Mehr wie eine Gartenfrucht. Um Himmels willen! dachte er, und diese Nasenlöcher! Die sind ja vollkommen unsymmetrisch angeordnet. Die sind ja ohne jede Harmonie zueinander. Das eine ist eng und oval. Aber das andere gähnt geradezu wie ein Abgrund. Dunkel und rund und unergründlich. Er griff nach seinem Taschentuch und tupfte sich die Stirn.
    Es ist so warm, nicht wahr? begann sie.
    O ja, sagte er und sah auf ihre Nase. Sie muß angenäht sein, dachte er wieder. Sie kommt sich so fremd vor im Gesicht. Und sie hat eine ganz andere Tönung als die übrige Haut. Viel intensiver. Und die Nasenlöcher sind wirklich ohne Harmonie. Oder von einer ganz neuartigen Harmonie, fiel ihm ein, wie bei Picasso.
    Ja, fing er wieder an, meinen Sie nicht auch, daß Picasso auf dem richtigen Wege ist?
    Wer denn? fragte sie, Pi – ca – –?
    Na, denn nicht, seufzte er und sagte dann plötzlich ohne Übergang: Sie haben wohl mal einen Unfall gehabt?
    Wieso? fragte sie.
    Na ja, meinte er hilflos.
    Ach, wegen der Nase?
    Ja, wegen ihr.
    Nein, sie war gleich so. Sie sagte das ganz geduldig: Sie war gleich so.
    Donnerwetter! hätte er da fast gesagt. Aber er sagte nur: Ach, wirklich?
    Und dabei bin ich ein ausgesprochen harmonischer Mensch, flüsterte sie. Und wie ich gerade die Symmetrie liebe! Sehen Sie nur meine beiden Geranien am Fenster. Links steht eine und rechts steht eine. Ganz symmetrisch. Nein, glauben Sie mir, innerlich bin ich ganz anders. Ganz anders.
    Hierbei legte sie ihm die Hand auf das Knie, und er fühlte ihre entsetzlich innigen Augen bis an den Hinterkopf glühen.
    Ich bin doch auch durchaus für die Ehe, für das Zusammenleben, meinte sie leise und etwas verschämt.
    Wegen der Symmetrie? entfuhr es ihm.
    Harmonie, verbesserte sie ihn gütig, wegen der Harmonie.
    Natürlich, sagte er, wegen der Harmonie.
    Er stand auf.
    Oh, Sie gehen?
    Ja, ich – ja.
    Sie brachte ihn zur Tür.
    Innerlich bin ich eben doch sehr viel anders, fing sie noch mal wieder an.
    Ach was, dachte er, deine Nase ist eine Zumutung. Eine angenähte Zumutung. Und er sagte laut: Innerlich sind Sie wie die Geranien, wollen Sie sagen. Ganz symmetrisch, nicht wahr?
    Dann ging er die Treppe hinunter, ohne sich umzusehen.
    Sie stand am Fenster und sah ihm nach.
    Da sah sie, wie er unten stehenblieb und sich mit dem Taschentuch die Stirn abtupfte. Einmal, zweimal. Und dannnoch einmal. Aber sie sah nicht, daß er dabei erleichtert grinste. Das sah sie nicht, weil ihre Augen unter Wasser standen. Und die Geranien, die waren genauso traurig. Jedenfalls rochen sie so.

Später Nachmittag
    Das Haus war schmal, grau und hoch. Da blieb sie stehen und sagte: So.
    Er sah sie an. Die Gesichter waren schon im späten Nachmittag versunken. Er sah nur eine blasse, ovale Scheibe. Dann sagte sie: Ja.
    Ihr Schlüsselbund klickerte unterdrückt. Es lachte.
    Da sagte der junge Mann: Dies ist die Catharinenstraße. Ich danke Ihnen.
    Sie schickte ihre farblosen Geleeaugen durch die dicken Brillengläser auf den hellen Fleck zu, der sein Gesicht sein mußte. Nein,

Weitere Kostenlose Bücher