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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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betonte er) auf der Straße küssen.
    Ich richtete mich auf und tat, als ob er recht hätte. Aber er ging noch nicht.
    Marguerite war wütend: Wir können nicht? Oh, wir können! Nicht wahr, wir können.
    Sie sah mich an.
    Ich wußte nichts, und die Uniform ging immer noch nicht. Ich hatte Angst, daß er etwas merken würde, denn Marguerite war sehr wütend:
    Aber Sie! So ein Mensch! Ihnen würde ich nicht mitten in der Nacht Küsse geben! Oh!
    Da ging er. Ich war glücklich. Ich hatte eine Heidenangst gehabt, daß er merken würde, daß Marguerite Französin war. Aber Offiziere merken wohl auch nicht immer alles.
    Dann war Marguerite wieder vor meinem Mund.

    Einmal waren wir uns sehr böse.
    Im Kino marschierte die Pariser Feuerwehr. Sie hatte Jubiläum. Sie marschierte ausgesprochen komisch. Deswegen lachte ich. Das hätte ich überlegen sollen. Marguerite stand auf und setzte sich auf einen andern Platz. Mir war klar, daß ich sie beleidigt hatte. Eine halbe Stunde ließ ich sie allein. Dann konnte ich nicht mehr. Das Kino war leer und ich schlich mich unbemerkt hinter sie:
    Ich liebe dich. Dein Haar liebe ich und deine Stimme, wenn du mon petit chou sagst. Ich liebe deine Sprache und all das Fremde an dir. Und deine Hände. Marguerite!
    Und ich dachte, daß wir wohl nur deswegen dem Reiz des Fremdartigen verfallen sind, weil es so süß ist, zuletzt immer wieder das schon Gekannte zu entdecken.
    Nach dem Kino bat Marguerite um meine Pfeife. Sie rauchte sie und ihr war übel dabei. Aber sie wollte mir beweisen, daß sie mich noch viel mehr lieb habe.

    Wir standen am Fluß. Der war schwarz vor Nacht und schmatzte geheimnisvoll an den Pfeilern der Brücke. Manchmal glomm es gelb und vereinzelt, hob und senkte sich wie auf einer atmenden Brust: Sterne spiegelten sich, gelb und vereinzelt.
    Wir standen am Fluß. Aber der segelte mit der Nacht und riß uns nicht mit in ein unbekanntes Land. Vielleicht wußte er auch nicht, wohin die Fahrt ging und ob das Ziel aller Fahrt das Paradies sei. Doch wir hätten uns bedingungslos dem Segel der Nacht anvertraut – aber der Fluß verriet uns nichts von seinem Zauber. Er schwatzte und gluckste und wir ahnten ein weniges von seiner geheimnisvollen Schönheit. Unseretwegen hätte er über seine Ufer treten können – und über unsere, über die Ufer unseres Lebens. Wir hätten uns fortspülen, überschwemmen lassen diese Nacht.
    Wir atmeten tief und erregt. Und Marguerite flüsterte:
    Das riecht wie Liebe.
    Ich flüsterte zurück:
    Aber das riecht doch nach Gras, nach Wasser, Flußwasser und Nebel und Nacht.
    Siehst du, flüsterte wieder Marguerite, und das riecht wie Liebe. Riechst du nicht?
    Es riecht nach dir, flüsterte ich noch leiser, und du riechst wie Liebe.
    Siehst du – flüsterte es da noch mal.
    Dann flüsterte der Fluß: Wie Liebe – siehst du – wie Liebe – siehst du – – –
    Vielleicht meinte er aber ganz etwas anderes. Aber Marguerite dachte, er hätte uns belauscht.

    Plötzlich wuchsen Schritte auf uns zu und eine Lampe zwang uns, die Augen zu schließen: Streife!
    Man suchte minderjährige Mädchen, denn die blühtennachts wie Blumen in den Parks in den Armen der Soldaten. Aber Marguerite schien dem Streifenführer erwachsen genug. Wir wollten schon gehen, da fiel ihm etwas an Marguerite auf. Ich glaube, es war ihre Schminktechnik. So malten sich unsere Mädchen nicht an. Feldwebel sind manchmal gar nicht so dumm, wie sie aussehen. Er verlangte ihren Paß. Sie zitterte kein bißchen. Hab ich mir doch gedacht! sagte er, Französin, so ein Tuschkasten.
    Marguerite blieb still, und ich mußte auch still bleiben. Dann schrieb er meinen Namen auf und wir standen wieder allein.

    Ich wußte, ich würde mindestens vier Wochen nicht aus der Kaserne rauskommen. Von den andern Strafen gar nicht zu reden. Ich wartete noch, aber mir fiel nichts Besseres ein. Und ich sagte es Marguerite.
    Du kommst vier Wochen nicht? Oh, dann ist alles aus, ich weiß. Du bist nur feige. Bin ich feige? Habe ich gezittert? Ach, du läßt dich vier Wochen einsperren! Pfui, du hast keine Courage. Du liebst mich nicht. Oh, ich weiß!
    Es half nichts, Marguerite glaubte, ich wäre nur zu feige, abends über den Zaun zu klettern. Von den hundert kleinen Maßnahmen, die das verhinderten, ahnte sie nichts. Ich dachte an die vier Wochen und wußte auch nichts mehr zu sagen. Dann, nach einer Weile, versuchte sie es noch einmal:
    Du kommst nicht? Vier Wochen? Nein?
    Ich kann nicht,

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