Das Gesamtwerk
und geht und weiß, daß es in der Küche kalt und ungemütlich sein wird. Aber er geht – er weiß, daß ich seinen milden Mondenglanz entbehren kann, wenn das dunkle Mädchen da ist – wie eine Sonne licht bei mir ist.
In der Küche wird er mindestens vierzig Minuten lang mit meiner Mutter über die Unlogik des Katzenknochens diskutieren – oh, das weiß ich sicherer, als ich jemals die Schlachten Napoleons gewußt habe – ich weiß es, sehe es und höre es. Und ich weiß, daß meiner Mutter ein Schweineknochen lieber wäre, dann würde sie sich um ihren neunzigpfündigen Mann keine Sorgen zu machen brauchen.
Meine Mutter hat einen vagabundig rot- und blaubekleckerten Schal um, der von einer bäuerlichen Spange gebändigt wird. Ich sehe, daß sie sich jetzt in der Küche eine Zigarette teilen und den Katzenknochen – an ein Skelett befestigt – wieder in den Kanal werfen. So ist das jetzt in unserer Küche. Jedenfalls sah ich das eben noch ganz genau, übergenau.
Aber dann sehe ich nichts mehr – wie kann ich auch! Das dunkle Mädchen hat seinen Mantel nun doch über einen Stuhl geworfen und sich zu mir gesetzt. Ihre neunzehn Jahre lassen meinen Puls wie ein Äffchen eine Palme hochklettern,von wo aus es mit rothaarigen Kokosnüssen nach mir wirft.
Ist das dein Herz?
Nein, Kokosnüsse – doch, mein Herz, weil du da bist, liebe Sonne.
Ich vergesse Küche, Katzenknochen und Kokosnüsse, und meine Sonne muß es sich gefallen lassen, daß ich sie – ohne blind zu werden – sprachlos und intensiv bekucke.
Sie will nach meinem Puls fassen – wollte sie das? –, aber der Affe ist futsch und ich halte ihre Hand fest. Draußen werden jetzt die Handtücher ausgewrungen, Vögel und Autos geben teils verzagt verschnupfte, teils empört protzige Laute von sich. Meinetwegen kann es drei Wochen lang regnen, denn keine Handbreit neben mir sitzt die Sonne – ich fühle ihren Rücken an meinen Schienbeinen –, ich bin beinahe kerngesund. Was gehen mich jetzt noch Autos und Vögel an!
Zwischendurch merken wir plötzlich, an einigen halblaut gesagten Worten, daß wir uns mögen. Das liegt nicht an den Worten, daß wir das merken.
Haben dir gestern abend die Ohren geklungen?
Gestern abend? Dir müssen sie eigentlich immer klingen.
Nein, daran lag es nicht. Es lag am Ton, daß wir das merkten. (Manchmal hat man diesen Ton mit ganz jungen Tieren – so –, so wie wir gesprochen haben.)
Der Affe wirft – hei, was hat das Kerlchen für Kraft! – verstärkt mit Kokosnüssen. Doch nicht nur auf mich. Denn das lichte dunkle Mädchen sieht mich mit einemmal unruhig an. An ihrem Hals bebt das winzige Stück einer blauen Ader.
So weise oder so dumm sind wir beide – oder so überrascht –, daß keiner etwas sagt. Was sollten wir auch sagen. Laufe in alle Bibliotheken der Welt, suche alle Liebesromane der Welt zusammen, du wirst keinen halbwegs vernünftigenSatz finden, den man jetzt in diesem Augenblick sagen könnte.
Cognac und Fieber machen Mut. Cognac habe ich nicht, dafür aber Fieber. Und ich werde waghalsig.
Ich schiebe die Hand meiner Sonne unter mein Hemd auf mein Herz:
Hörst du, ja? Da sitzt ein Affe und schmeißt mit Kokosnüssen. Kokosnüsse, Millionen dicke, dicke Kokosnüsse. Immer mehr und immer schneller! Fühlst du?
Da sagt sie ganz leise:
Oh, du – hier: bei mir auch.
Dann sagt keiner mehr etwas. Was sollen wir auch noch sagen? Keinem Tenor der Welt würde nach unseren Kokosnüssen noch etwas Besseres einfallen. Niemand wüßte etwas Schöneres. Die Professoren erst recht nicht. Die Professoren wissen gar nix!
Aber mein Vater weiß, daß das Trommelfeuer von Kokosnüssen meine Leber ruinieren würde, wenn er nicht eingreift. Deswegen kommt er – mit längst vergessenem Katzenknochen – aus der Küche und setzt sich hinter die Maschine. Er ist mein Vater und er weiß, daß zwei Stunden Sonnenschein für einen Kranken reichlich genug sind, und meine gute liebe Sonne sieht das auch plötzlich ein, leider!
Der Affe rutscht selig-müde von seiner Palme herunter, und das dunkle Mädchen sagt:
– bald, bestimmt und tschüs –
als ich es frage, wann sie wieder in meiner Tür stehen wird.
Dann hackt mein Vater mich mit dem blechernen Rhythmus der Schreibmaschine in einen paradiesischen Traum. Es ist ein Traum von Palmen, Kokosnüssen, Äffchen und dunklen, dunklen Augen.
Schischyphusch oder Der Kellner meines Onkels
Dabei war mein Onkel natürlich kein Gastwirt. Aber er kannte einen
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