Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
Vom Netzwerk:
Laterne kommt, hältst du den Kopf weg. Ich bin dir wohl zu klein, wie? Ja, mit einmal ist man wieder zu klein. Für den Krieg war man auch nicht zu klein. Nur für so was, was schön ist. Du brauchst gar nicht so zu rennen, ich lauf dir doch nach. Wenn ich denke, was du noch alles hast außer den Beinen, dann kann man sich schon allerhand ausdenken. Die andern haben das jeden Abend. Unter den Laternen sind deine Knie ganz weiß. Immer wenn ich dich bei einer Laterne überhole, hältst du dein Gesicht weg.
    Im Vorbeigehen kann ich dich riechen. Aber du merkst gar nicht, daß ich was von dir will. So schnell wirst du mich nicht los. Ich weiß sowieso nicht, wohin. Bei solchem Nebelwetter ist es im Bunker immer naßkalt. Kann doch sein, daß du ein Zimmer hast. Bloß nicht bei deinen Eltern. Bei Freunden. Dann kannst du mich doch mitnehmen. Dann sitzen wir nebeneinander auf deinem Bett. Und der Nebel und die Kälte stehen vor der Tür. Und dann sind deine hellen Knie ganz dicht neben mir. Und du hast einen Tannenbaum. Und dann teilen wir uns ein Stück Brot. Du hast doch bestimmt Brot. Die andern erzählen immer, daß sie von ihren Weibern was zu essen kriegen. Ihr eßt ja nicht soviel wie wir. Wir haben meistens Hunger. Ich auch, du. Aber du hast vielleicht was. Wenn du bei deinen Eltern wohnst, das ist natürlich Mist. Dann müssen wir unten im Treppenhaus bleiben. Das geht auch. Die andern bleiben auch oft mit ihren Weibern im Treppenhaus. Aber Weihnachten? Mein Gott! Im Treppenhaus.
    Du riechst gut. Ich gehe ganz dicht hinter dir und kanndich riechen. Mein Gott, du riechst so nach allerhand. Da kann man sich allerhand bei vorstellen. Wenn das bei uns im Bunker man mal so riechen würde. Aber da riecht es immer nach Tabak und Leder und nassen Klamotten. Du riechst ganz anders, so was hab ich noch nie gerochen. Bei der nächsten Laterne rede ich dich an. Die Straße ist gerade ganz leer. Aber wenn ich dich anrede, ist vielleicht alles vorbei. Du antwortest vielleicht gar nicht. Oder du lachst mich aus, weil ich dir zu jung bin. Älter als zwanzig bist du aber auch noch nicht.
    Da kommt die Laterne. Deine Knie sind ganz hell im Dunkeln. Die Laterne kommt. Jetzt muß ich gleich was sagen. Oder noch nicht? Vielleicht ist dann alles aus. Die andern können das alle. Die haben alle ihre Weiber. Da ist die Laterne. Wenn ich jetzt rede, ist vielleicht alles aus. Die Laterne. Nein, ich warte noch ein paar Laternen. Noch nicht. Der Nebel ist gut. Du siehst wenigstens nicht, daß ich noch nicht so alt bin. Aber ich kenn welche, die haben schon eine, und sind auch nicht älter. Ja, jetzt ist man mit einmal wieder zu klein. Fürs Soldatsein war man nicht zu klein. Und jetzt läuft man rum. Im Nebel nachts. Und jeden Abend reden die andern von ihren Weibern. Davon kann man nachher nicht einschlafen. Die Luft im Bunker ist dann ganz voll davon. Von ihren Weibern. Und von dem nassen Nebel nachts. Draußen. Aber du, du riechst gut. Deine Knie sind ganz hell im Dunkeln. Sie müssen ganz warm sein, deine Knie. Wenn die nächste Laterne kommt, rede ich dich an. Vielleicht wird es was. Mensch, du riechst so. Das hab ich noch nie gerochen. Kuck mal, hinter den Gardinen haben sie Weihnachten. Vielleicht auch Grünkohl. Nur wir beide sind draußen. Wir sind ganz allein in der Stadt. –

Die Professoren wissen auch nix
    Ich bin ein Omelett. Vielleicht nicht so appetitlich und knusperig, aber ich liege mindestens ebenso gelb und flach in der schwarzen Stimmung meines Krankseins wie das Omelett in der Schwärze seiner Bratpfanne. Meine Leber ist ein praller Fußball und mein Kopf ein glühender Teekessel. Das übrige zwischen Fußball und Teekessel ist gereizt und geschwollen wie ein Blinddarm.
    Man müßte Malaria mit zwei l schreiben und auf dem ersten a betonen: M
a
llaria. Das könnte dann von mall oder mallerig kommen und ebenso fühle ich mich: mall, omelettig, mallerig.
    Neben mir auf dem Tisch wird gehämmert – seit einigen Stunden. Vor dem Tisch auf einem Stuhl sitzen neunzig Pfund und hämmern auf den fünfundvierzig Pfund herum, die auf dem Tisch stehen.
    Die fünfundvierzig Pfund auf dem Tisch – das ist meine dicke, schwere Schreibmaschine. Die neunzig Pfund vor dem Tisch – das ist mein leichter, dünner Vater. Mein Vater hackt seit Stunden auf der Maschine einen irrsinnigen Rhythmus und jedes Tick ist das Tick zu einer Höllenmaschine, und die Höllenmaschine ist mein Kopf.
    Aber draußen gibt es Vögel, Autos und graue

Weitere Kostenlose Bücher